Zu Millionen kommen sie im Frühjahr auf der Suche nach Treibstoff ins Watt: Watvögel und Wildgänse auf ihrer langen Reise in die arktischen Brutgebiete. Das Wattenmeer ist der wichtigste Rastplatz entlang des Ostatlantischen Zugweges der Küstenvögel. Viele Zugvögel sind bei ihrer Reise auf spezielle Lebensräume angewiesen, vor allem auf Feuchtgebiete. Ein erstaunliches Beispiel ist der Knutt. Dieser etwa amselgrosse Watvogel findet zwischen seinem Brutgebiet auf der nordsibirischen Taimyr-Halbinsel und dem 4'500 km entfernten Wattenmeer keine anderen Plätze, wo er in ausreichender Zahl rasten und Nahrung finden kann. Der gesamte sibirische Bestand dieser Art ist deshalb im Mai auf der Suche nach kleinen Muscheln im Wattenmeer zu finden, um sich ausreichend Fettreserven anzufressen. In den nächsten Wochen fliegen die Vögel dann non-stop nach Nord-Sibirien. Ähnlich stark auf das Wattenmeer angewiesene Arten sind Ringelgans, Kiebitzregenpfeifer, Pfuhlschnepfe und Alpenstrandläufer. Feuchtgebiete sind für viele Zugvögel wichtig, doch werden sie nach Angaben des WWF weltweit durch Trockenlegung und Landwirtschaft immer knapper, oft besteht auch ein hoher Druck durch Wasservogeljagd. Durch internationale Abkommen sollen Feuchtgebiete geschützt werden, darauf macht der Weltzugvogeltag an diesem Wochenende aufmerksam. Auch das Wattenmeer an der Nordseeküste ist ein Feuchtgebiet, im Wechsel von Ebbe und Flut sind hier die grössten zusammenhängenden Wattflächen der Erde zu finden. Es wurde deshalb als Nationalpark geschützt und inzwischen sogar als UNESCO-Weltnaturerbe anerkannt. 10 bis 12 Millionen Wat- und Wasservögel des "Ostatlantischen Zugweges" suchen hier Jahr für Jahr bei einer oft monatelangen Rast nach Nahrung, bevor sie weiter in ihre arktischen Brutgebiete oder in afrikanische Winterquartiere fliegen. Laut WWF haben sie es trotz des Schutzes schwer dabei: Noch immer führen menschliche Tätigkeiten wie Küstenbefestigungen, Verschmutzungen, Fischerei, Jagd oder Tourismus zu unnötig hohen Belastungen beim Vogelzug.
Beobachtung von Zugvögeln im Nationalpark Wattenmeer Pünktlich zum Frühlingsbeginn kehren immer mehr Zugvögel aus den Überwinterungsgebieten in den Nationalpark z urück. Die Schutzstation Wattenmeer stellt einige Arten vor und gibt Beobachtungstipps. Kurz nachdem das Wattenmeer Mitte Februar von einer flächendeckenden Eisschicht befreit ist, haben sich Nonnengänse und ihre etwas kleineren Verwandten, die Ringelgänse wieder auf den Weg ins Wattenmeer gemacht. Von nun an haben sie noch sechs Wochen bis Mitte Mai Zeit, um sich auf den Salzwiesen im Nationalpark und mancherorts auch auf Grünlandflächen binnendeichs Fettreserven anzufressen. "Je wohlgenährter die Gänse vom Wattenmeer abziehen können, desto grösser sind später ihre Chancen in den arktischen Brutgebieten erfolgreich Nachwuchs aufzuziehen", sagt Biologe Klaus Günther von der Schutzstation Wattenmeer, der das Rastvogelmonitoring im Nationalpark koordiniert. "Wer die arktischen Gänsearten nebeneinander beim Fressen beobachten möchte, kann dies besonders gut in der Nähe des Leuchtturms Westerhever." Das grosse Salzwiesengebiet rund um das nordfriesische Wahrzeichen und die Grünlandflächen im Binnenland um Westerhever bieten dafür beste Möglichkeiten. Auch auf der vorgelagerten Sandbank und den umliegenden Wattflächen können viele arktische Zugvögel wie Pfuhlschnepfen, Kiebitzregenpfeifer, Knutts, Alpenstrandläufer und Sanderlinge beobachtet werden. Knutts, Pfuhlschnepfen und andere Watvögel findet man auch auf den Wattflächen an der Sandbank von St. Peter, besonders südlich und nördlich der Pfahlbauten bei St. Peter-Böhl. "Pfuhlschnepfen sind die Rekordhalter im Non-Stopp-Flug", berichtet Günther. 11'600 Kilometer ohne Zwischenlandung, Schlafen oder Fressen war eine Schnepfe neun Tage über dem Pazifik von Alaska bis Neuseeland unterwegs. "Ein kürzere Strecke, nämlich bis zu 5'000 Kilometer müssen die Schnepfen vom Wattenmeer in die arktischen Brutgebiete bis hin zur Taimyr Halbinsel fliegen. Aber auch das ist eine sehr beeindruckende Leistung", meint Günther begeistert.Mit rekordverdächtiger Geschwindigkeit fressen sich die Schnepfen den notwendigen Flugtreibstoff an. Drei bis vier Wochen benötigen sie, um ihr Gewicht annähernd zu verdoppeln. Die Vögel müssen dafür mit ihrem zehn Zentimeter langen Schnabel genügend Krebse und Würmer im Wattboden erstochern. Hierbei hilft ihnen die druckempfindliche Schnabelspitze, blind die Beute im tiefen Schlick aufzuspüren. Wer um diese Jahreszeit Vögel im Watt beobachtet, hat gute Chancen, den Alpenstrandläufer als häufigsten Zugvogel des Wattenmeeres zu entdecken. Den etwas irreführenden Namen bekam der starengrosse Vogel von deutschsprachigen Vogelkundlern als Brutvogel der lappländischen Alpen, einer nordischen Gebirgsregion. Gut zur erkennen sind die Vögel im Sommer an ihrem schwarzen Brustfleck, den auch jetzt schon viele Tiere haben. "Sind die Wattflächen bei Hochwasser vom Meer überspült, können Vogelfreunde die Strandläufer zusammen mit anderen Watvögeln an besonderen Rastplätzen antreffen", erklärt Vogelkenner Günther. Solche bevorzugten Sammelpunkte gibt es viele an der Küste, beispielsweise südlich des Friedrichskooger Hafens. für alle Besucher des Weltnaturerbes Wattenmeer hat Günther noch ein besonderes Anliegen: "Bitte halten Sie bei Ihren Beobachtungen ausreichend Abstand von Rastvogelschwärmen und respektieren Sie auch die abgesperrten Brut- und Rastgebiete. Jedes Auffliegen bedeutet für die Tiere einen unnötigen Energieaufwand." Gute Möglichkeiten, die Zugvögel im Nationalpark zu erleben, bieten auch die Führungen der Naturschutzverbände wie der Schutzstation Wattenmeer sowie der Nationalparkranger. Die Schutzstation Wattenmeer engagiert sich für die Rettung der letzten knapp über 40 Lachseeschwalben-Brutpaare in Nordwesteuropa. Die einzige Brutkolonie befand sich in diesem Jahr an der Elbmündung im Vorland des Neufelder Kooges in Dithmarschen, wo auch die grösste Flussseeschwalbenkolonie des gesamten Wattenmeeres anzutreffen ist. Vor etwa 70 Jahren gab es noch bis zu 500 Brutpaare entlang der Nordseeküste, vor allem in Dänemark. Die nächsten Brutplätze der Art liegen in Südeuropa (z.B. in der Carmargue).
Die Zugwege der Wattenmeervögel Am 14 Juni 2010 wurde in Den Haag in den Niederlanden im Rahmen einer Feier anlässlich des 15 jährigen Bestehens der AEWA (Afrikanisch Eurasisches Wasservogelabkommen) das sogenannte Critical Site Network (CSN) Werkzeug vorgestellt. Das CSN Werkzeug ist ein neues Webportal mit Informationen über Wasservögel und ihre wichtigen Aufenthaltsplätze und wurde im Rahmen des UNEP-GEF Wings Over Wetlands (WOW) Projektes entwickelt. Das GIS (Geographisches Informations-System) basierte Werkzeug zeigt die Lage geschützter Gebiete und gibt zu fast 300 Wasservogelarten in der AEWA Region Informationen, wie zum Beispiel Brutgebiete, Anteil an der Zugvogelweg-Population und vieles mehr aus. Das Werkzeug zeigt mit schönen Karten wie wichtig das Weltnaturerbe Wattenmeer für wandernde Wasservögel im Verhältnis zu anderen wichtigen Aufenthaltsplätzen entlang der Afrikanisch-Eurasischen Zugvogelwege ist.
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