Die Veränderungen im alpinen Permafrost finden meist im Verborgenen statt, haben aber zunehmend bedeutende Konsequenzen für die Berggebiete. Die abnehmende Stabilität von Permafrosthängen beeinträchtigt Hochgebirgsinfrastrukturen und führt zu einer Zunahme von Naturgefahren wie Felsstürzen und Murgängen. Hier fassen wir einige grundlegenden Informationen über Permafrost in den Schweizer Alpen und seiner möglichen Rolle bei grossen Felsinstabilitäten zusammen. Antworten auf die wichtigsten Fragen.
In den Schweizer Alpen findet man Permafrost in Schuttgebieten oberhalb von zirka 2'200 m.ü.M. und in Felswänden oberhalb von zirka 3'000 m.ü.Meer. Schattenseitig ist die Permafrostgrenze ein paar hundert Höhenmeter tiefer als in stark besonnten Südhängen. Er reicht bis in eine Tiefe von mehreren zehn Metern, auf den höchsten Gipfeln bis zu mehreren hundert Metern. In der Schweiztritt Permafrost etwa auf drei Prozent der Landesfläche auf. Gemessene Jahresmittel der Permafrosttemperaturenreichen von bis zu minus zehn Grad Celsius in den höchsten nordseitigen Lagen zu nur wenig Grad unter null nahe der Permafrostgrenze. Der grösste Teil des Permafrosts in den Schweizer Alpen ist warm, das heisst, seine Temperatur liegt nur ein bis zwei Grad unter dem Schmelzpunkt. Einen einfachen Überblick über die Permafrostverteilung erhält man mit Hilfe der SLF Permafrostkarte (PGIM) unter maps.wsl.ch. In Klüften und in den mikroskopisch kleinen Poren(Hohlräumen) vom Permafrostfels existiert Eis, welches tausende Jahre alt sein kann. Dieses Eis kann nach einemFelssturz in der Anrisszone sichtbar werden, oft sind die kleinen Mengen aber auch kaum erkennbar.
Die neuesten Auswertungen zeigen Änderungen der Bodentemperaturen im Permafrostgebiet im letzten Jahrzehnt 2015-2024 in zehn Metern Tiefe zwischen -0.1 und +1.1 Grad Celsius. Die grössten Änderungen werden an kalten, hochgelegenen Standorten sowie in Felsgebieten beobachtet. Im Gegensatz zu Schutthalden enthält Fels-Permafrost wenig Eis und kann sich deshalb schneller erwärmen. In zwanzig Metern Tiefe ist die Erwärmung erst etwa halb so gross. In noch grösserer Tiefe von fünfzig Metern und mehr ist die Erwärmung noch klein, da die oberflächennahen Veränderungen der letzten Jahrzehnte erst mit grosser Verzögerung in dieser Tiefe ankommen.Eine Übersicht zu den Veränderungen der Permafrostverteilung in den obersten etwa zwanzig Metern des Bodens seit den 1980er Jahren ist ebenfalls auf maps.wsl.ch dargestellt. 1. Der Topographie: Ist der Hang steil genug? 2. Der Orientierung der Schwächezonen im Hang: In welche Richtung verlaufen Klüfte oder Felsschichten? 3. Von den Materialeigenschaften des Berges: Wie gross sind die Festigkeit und Reibungskräfte innerhalb einerFelsmasse? Ermöglicht die Kombination aller drei Faktoren grundsätzlich einen Bergsturz, führen die Spannungen im Hang durch die Schwerkraft über tausende Jahre zur Felsermüdung und ein Bergsturz wird irgendwann eintreten. Weitere, von aussen einwirkende Faktoren können diesen Ermüdungsprozess beschleunigen und den Zeitpunkt eines Felssturzes beeinflussen. • Gletschererosion (Versteilung des Hangs über Jahrtausende) • Wassereinträge in den Hang (Druck- und Temperaturzunahme, Schwächung einiger Gesteinsarten durch Sättigung über Jahrzehnte) • Gletscherrückzug (Entlastung und Wasserdruckänderungen über Jahrzehnte) • Permafrost (Erwärmung und Eisverlust, siehe Abschnitt hierunter) • Thermomechanische Effekte (Saisonale Spannungsänderungen über Jahrtausende) • Erdbeben (Dynamische Destabilisierung in Sekunden) • Chemische Prozesse (Erosion durch chemische Reaktionen im Gestein) Permafrosteis beeinflusst die Hydrologie von Berghängen. Fels im kalten Permafrost ist kaum wasserdurchlässig, da das Eis die Klüfte versiegelt. Erwärmt sich das Eis im Untergrund oder taut langsam auf, kann Wasser in Klüfte eindringen und zu Staudrücken führen. Das erhöht die Spannungen im Hang und beschleunigt die Felsermüdung.Dieser Prozess konnte beim Bergsturz vom Pizzo Cengalo bei Bondo im Bergell (Kanton Graubünden)im August 2017 beobachtet werden und spielt aktuell auch im Fall des Spitze Stei oberhalb von Kandersteg (Kanton Bern) eine wichtige Rolle. Einige Felsarten verlieren ausserdem deutlich an Festigkeit, wenn sie mit Wasser gesättigt werden. Diese Effekte variieren stark in Abhängigkeit von Felsart, Klüftung und hydrologischer Ausgangssituation. Auch Permafrosteis in Klüften und den mikroskopisch kleinen Poren im Fels kann Hangbewegungen beeinflussen. Eis ist ein plastisches Material, ähnlich wie Knete. Die Festigkeit von Eis nimmt mit steigender Temperatur ab. Ausserdem ist die Festigkeit von Eis davon abhängig, wie schnell es verformt wird. Je schneller Eis belastet wird, desto stärker leistet es Widerstand. Wird es sehr langsam belastet, leistet es keinen Widerstand. Permafrosteis kann daher unter Umständen die Deformationsgeschwindigkeit einer bestehenden Hanginstabilität limitieren und einen Sturz um Jahre oder sogar Jahrzehnte verzögern. Das Ausmass dieser verzögernden Wirkung ist ebenfalls von Fall zu Fall sehr unterschiedlich. Am Pizzo Cengalo zum Beispiel, brachen intakte Felsstrukturen in immer grösserer Anzahl durch. Gegenüber deren Festigkeit ist jene von Eiswenig bedeutend (Hier war die oben erwähnte zunehmende Wasserdurchlässigkeit relevant). Am Spitze Stei oberhalb von Kandersteg handelt es sich um einen labilen Rutschprozess auf einer Gleitfläche mit viel höheren Deformationsgeschwindigkeiten. Hier kann die Festigkeit vom Eis einen Unterschied machen. Überwachungsdaten deuten drauf hin, dass Eis die Deformationsgeschwindigkeit limitiert und einen Absturz verzögert. Diese verzögernde Wirkung wird kleiner, wenn sich der Permafrost erwärmt oder auftaut. Der Abbruch erfolgte in grosser Tiefe und Permafrost in diesem Bereich ist von langfristigen Änderungen beeinflusst und nicht von den Witterungsbedingungen der letzten Wochen oder Monate. Wie überall in den Schweizer Alpen oder den Gebirgen Europas hat sich der Permafrost in den letzten Jahrzehnten auch am kleinen Nesthorn erwärmt. Es ist daher möglich,dass Eisverlust und vermehrte Wassereinträge auch hier zu Staudrücken und zusätzlichen Spannungen im Hang geführt haben könnten. Dies wiederum könnte einen Absturz beschleunigt haben. Genauere Untersuchungen der Felsstruktur, der Permafrostbedingungen und des Destabilisierungsprozesses werden nun folgen und können möglicherweise Anhaltspunkte dazu geben, welchen Einfluss die Änderungen im Permafrost auf die Destabilisierung und deren Verlauf im Fall des Kleinen Nesthorns hat.
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