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Y-Chromosomen von Neandertalern und Denisovanern entziffert 2020
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Y-Chromosomen von Neandertalern und Denisovanern entziffert

Neandertaler haben männliches Geschlechtschromosom vom modernen Menschen übernommen

Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Martin Petr und Janet Kelso vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig hat die Y-Chromosomen-Sequenzen von drei Neandertalern und zwei Denisova-Menschen bestimmt. Diese Y-Chromosomen liefern neue Einblicke in die Verwandtschaftsbeziehungen und Populationsgeschichten archaischer und moderner Menschen, einschliesslich neuer Belege für einen lange zurückliegenden Genfluss von sehr frühen modernen Menschen hin zu Neandertalern. Die Daten zeigen, dass diese Interaktionen für die Neandertaler von Nutzen gewesen sein könnten, da der Genfluss zu einem vollständigen Austausch der Y-Chromosomen der Neandertaler führte.

Im Jahre 1997 wurde die allererste Neandertaler-DNA-Sequenz - nur ein kleiner Teil des mitochondrialen Genoms - aus einem Individuumgewonnen, das 1856 in einer Höhle im Neandertal gefunden worden war. Seitdem ermöglichten es Verbesserungen der molekularen Methoden den Forschern am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, Sequenzen der gesamten autosomalen Genome mehrerer Neandertaler in hoher Qualität zu sequenzieren, und führten zur Entdeckung der Denisovaner, einer bisher gänzlich unbekannten ausgestorbenen Menschenform.

Da jedoch alle Überreste von Neandertalern und Denisovanern, aus denen grössere Mengen von DNA isoliert werden konnten, von weiblichen Individuen stammten, waren umfangreiche Untersuchungen ihrer Y-Chromosomen bislang nicht möglich. Im Gegensatz zu allen anderen Teilen des autosomalen Genoms, das ein Mosaik Tausender von Stammbäumen der Vorfahren jedes einzelnen Individuums darstellt, haben Y-Chromosomen eine spezielle Art der Vererbung: Sie werden ausschliesslich vom Vater auf den Sohn weitergegeben. Y-Chromosomen - wie auch die ausschliesslich mütterlicherseits vererbte mitochondriale DNA - sind daher so wertvoll für Untersuchungen zur Geschichte des Menschen.

Neue Methode

Für ihre Studie identifizierten die Wissenschaftler drei männliche Neandertaler und zwei Denisovaner, die sich für die DNA-Analyse eigneten, und entwickelten eine Methode, mit der sie Fragmente menschlicher Y-Chromosomen aus der grossen Menge mikrobialer DNA-Fragmente, die typischerweise alte Knochen und Zähne kontaminieren, herausfischen konnten. Dadurch konnten sie die Y-Chromosomen-Sequenzen dieser Individuen rekonstruieren, was unter Verwendung bisheriger Methoden nicht möglich gewesen wäre.

Durch den Vergleich der archaischen menschlichen Y-Chromosomen untereinander und mit den Y-Chromosomen von heute lebenden Menschen fanden die Forscher heraus, dass Y-Chromosomen von Neandertalern denen von modernen Menschen ähnlicher sind als denen von Denisovanern. "Das war eine ziemliche Überraschung für uns. Wir wissen aus Untersuchungen ihrer autosomalen DNA, dass Neandertaler und Denisovaner eng verwandt sind, und dass die heute lebenden Menschen ihre entfernteren evolutionären Cousins und Cousinen sind. Wir hatten erwartet, dass die Y-Chromosomen ein ähnliches Bild zeigen würden", sagt Martin Petr, der Erstautor der Studie. Die Wissenschaftler berechneten auch, dass der letzte gemeinsame Vorfahre der Y-Chromosomen von Neandertalern und modernen Menschen etwa vor 370 000 Jahren gelebt haben muss, also viel später als zuvor angenommen.

Es ist heute allgemein anerkannt, dass alle Menschen, die nicht von Afrikanern abstammen, eine kleine Menge Neandertaler-DNA in sich tragen. Dies ist das Ergebnis einer Vermischung von Neandertalern und modernen Menschen, die vor ungefähr 50 000 bis 70 000 Jahren stattfand, kurz nachdem der moderne Mensch aus Afrika ausgezogen war und begann, sich auf der ganzen Welt auszubreiten. Ob jedoch die Neandertaler auch moderne menschliche DNA besassen, war bislang umstritten.

Die nun vorliegenden Sequenzen der Y-Chromosomen liefern einen weiteren Beweis dafür, dass sich Neandertaler und frühe moderne Menschen möglicherweise bereits vor 370 000 Jahren, spätestens aber vor über 100 000 Jahren, begegneten und miteinander vermischten. Dies bedeutet, dass eine eng mit frühen modernen Menschen verwandte Population zu jener Zeit bereits Eurasien erreicht haben musste. Überraschenderweise führte diese Vermischung zum Austausch der ursprünglichen Y-Chromosomen der Neandertaler durch jene der frühen modernen Menschen. Ein ähnliches Muster wurde bereits in einer früheren Studie für die mitochondriale DNA der Neandertaler gezeigt.

Zuerst waren der komplette Austausch sowohl der Y-Chromosomen als auch der mitochondrialen DNA der frühen Neandertaler ein Rätsel für die Wissenschaftler, da es unwahrscheinlich ist, dass solche Ereignisse allein dem Zufall zuzuschreiben sind. Die Forscher nutzten jedoch Computer-Simulationen um zu zeigen, dass die geringe Grösse der Neandertaler-Populationen zu einer Anhäufung schädlicher Mutationen in ihren Y-Chromosomen geführt und die evolutionäre Fitness verringert haben könnte. Dies ähnelt Szenarien, bei denen eine extrem geringe Populationsgrösse und Inzucht die Häufigkeit des Auftretens bestimmter Krankheiten erhöhen. "Angesichts der wichtigen Rolle des Y-Chromosoms für Fruchtbarkeit und Fortpflanzung vermuten wir, dass die geringere evolutionäre Fitness der Y-Chromosomen der Neandertaler zu einer natürlichen Selektion geführt hat. Dabei waren Individuen mit der vom modernen Menschen übernommenen Variante im Vorteil, was letztlich zu dem beobachteten Austausch führte", sagt Martin Petr.

Janet Kelso, die Letztautorin der Studie, ist optimistisch, dass diese Austausch-Hypothese in naher Zukunft getestet werden kann: "Wenn wir Y-Chromosomen-Sequenzen von Neandertalern gewinnen können, die vor diesem hypothetischen frühen Austausch-Ereignis lebten, zum Beispiel von den 430 000 Jahre alten Neandertalern aus der Höhle Sima de los Huesos in Spanien, so werden sie unserer Vorhersage nach noch die originalen Neandertaler-Y-Chromosomen haben, und werden daher den Denisova-Menschen ähnlicher sein als den modernen Menschen."

Originalveröffentlichung

Martin Petr, Mateja Hajdinjak, Qiaomei Fu, Elena Essel, Hélène Rougier, Isabelle Crevecoeur, Patrick Semal, Liubov V. Golovanova, Vladimir B. Doronichev, Carles Lalueza-Fox, Marco de la Rasilla, Antonio Rosas, Michael V. Shunkov, Maxim B. Kozlikin, Anatoli P. Derevianko, Benjamin Vernot, Matthias Meyer, Janet Kelso
The evolutionary history of Neanderthal and Denisovan Y chromosomes.
Science; September 25th, 2020

Quelle: TextMax-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie , 24. September 2020
Neandertaler
Neandertaler werden die ausgestorbenen Menschen der Neandertalgruppe (= Paläantropinen) genannt. Die Neandertaler waren während der letzten Eiszeit von Europa bis nach Asien verbreitet. Die ältesten Funde wurden auf die Zeit zwischen der zweitletzten und der letzten Zwischeneiszeit datiert. Das Skelett des ersten Vertreters diese Menschengruppe wurde (der Homo sapiens neandertalhalensis) wurde 1856 im Neandertal zwischen Düsseldorf und Wuppertal-Elberfeld in Deutschland gefunden.
Chromosom
Die Chromosomen (grch. Farbkörper) sind fadenförmige Gebilde in der Kernzellmasse von Lebewesen. Der wichtigste Bestandteil der Chromosomen ist die Desoxyribonucleinsäure (DNS od. DNA, bei einigen Viren die Ribonucleinsäure. Die Chromosmen sind die Träger derErbanlagen und der Geschlechtsinformationen (X- bzw. Y-Chromosome).
Erbfaktoren - Gene - Genome - DNA

Zu den Hauptbestandteilen eines Zellkerns gehören die «Nukleoproteide». «Nukleoproteide» sind Substanzen, die aus «Nukleinsäuren» und einem Protein (Eiweiss) bestehen. Die «Nukleinsäuren» steuern die Bildung der Enzyme in den Zellen. Sie sind damit die Träger der «Erbfaktoren = Gene = Genome». Eine wichtige «Nukleinsäuren» ist die «Desoxyribonukleinsäure (DNS)». Die DNS wird auch DNA (engl. A = Acid = Säure) genannt. Die DNS ist in den Chromosomen lokalisiert. Bei der Zellkernteilung werden die Chromosomen längs geteilt. Jeder der geteilten Zellkerne enthält jeweils die Hälfte jedes einzelnen Chromosoms.

Die DNA enthält den gesamten Bauplan eines Organismus. Aufgrund dieser Anleitung weiss jede Zelle, wie sie sich entwickeln und welche Aufgabe sie erfüllen muss.

Die Chromosomen (griech: Farbkörper) befinden sich in den Zellen von Lebewesen. Der wichtigste Bestandteil der Chromosomen ist bei den meisten Lebewesen die «Desoxyribonucleinsäure (DNS). Die Chromosomen sind die Träger der Erbanlagen. Die Reihenfolge der Gene in den Chromosomen ist ein wichtiger Indikator für die Identität eines Lebewesens.
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