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Beobachten, vorbereiten, reagieren - Das neue Handbuch für Schulen
Redebeitrag von Christian Randegger, Projektleiter KrisenKompass© vom 25.6.2009 in Bern

1. Hintergrund

Seit Jahren in der Funktion als Kriseninterventionstrainer, NotfallseeIsorger oder Notfallpsychologen erleben die Experten der internationalen Fachstelle für Gewaltprävention, Krisenintervention und Trauerbegleitung, edyoucare, immer wieder traumatisierende Ereignisse im Kontext Schule. Dabei zeigt sich einerseits die stark unterschiedliche Betroffenheit von Behörden, Schulleitungen, Lehrpersonen, Eltern und Schüler. Andererseits werden meist die gleichen Bedürfnisse geäussert nach Klärung der Situation, Entlastung von Mitschuld, Beratung bei unterlassener Hilfeleistung, Begleitung in den Stunden danach und Schulung im Blick auf zukünftige Ereignisse. Im Verhältnis zu schweren Krisen wie Tod, Unglück oder Verbrechen sind andere Krisen jedoch viel häufiger und bedingen ebenfalls einen kompetenten Umgang: Suchterkrankungen, Selbstverletzung, Mobbing, Essstörungen, Vandalismus oder Androhung von Gewalt oder Suizid.

Viele dieser häufiger auftretenden Krisen können mit der dafür „Not“ wendigen Fachkompetenz frühzeitig erkannt, adäquat verarbeitet oder sogar präventiv vermieden werden. Bereits dafür benötigt die Schulleitung, Lehrperson, Schulsozialarbeit und Behörde rezeptbuchartig aufbereitetes Fachwissen, das in kurzer Zeit die Entscheidung ermöglicht, welche nächsten Handlungsschritte sinnvoll sind. So gewinnen die Verantwortlichen Zeit und Sicherheit, um möglichst selbstständig handeln zu können.

Wesentlich ist hier die Unterscheidung zwischen nieder- oder höher schwelligen Massnahmen. Bei niederschwelligen Massnahmen ist davon auszugehen, dass die Lehrpersonen und die Schulleitung vor Ort selber nicht unter Schock stehen und damit ihre Handlungsfähigkeit nicht oder nur geringfügig eingeschränkt ist.

Deswegen können derartige Vorfälle mit einem schulinternen Notfallteam, welches sich mittels Checklisten, Absprachen und Trainings oder Simulationen auf Notfälle vorbereitet, gelöst werden. Erst ab einer gewissen Intensität der Situation müssen externe Hilfen integriert werden. Wenn die Verantwortlichen selbst unter Schock stehen oder wenn Verdacht auf unterlassene Sorgfaltspflicht oder fahrlässige Tötung besteht.

Auf diesem Hintergrund erarbeitete edyoucare, die internationale Fachstelle für Gewaltprävention, Krisenintervention und Trauerbegleitung, den KrisenKompass©, der den Verantwortlichen im Kontext Schule hilft, den Umgang mit den im Schulalltag häufigsten Krisen vorzubereiten und so im Ernstfall handlungsfähig zu sein.

Die dafür notwendigen Kompetenzen können in begleitenden Weiterbildungsmodulen erworben werden. Angesprochen werden dabei Verantwortliche für Kinder und Jugendliche ab Kindergarten, Volksschule, Gymnasium und Berufsschule.

2. Entstehungsgeschichte

Nach der Sichtung von möglichen Unterlagen im deutschsprachigen Europa ergab sich im Herbst 2007 die Gelegenheit, Experten der internationalen Kriseninterventionstage in Innsbruck, die in diesem Jahr zum neunten Mal durchgeführt werden, zur Erarbeitung dieses KrisenKompass© zu gewinnen. Somit fliesst aktuellstes Fachwissen aus den drei Ländern Deutschland, Österreich und der Schweiz in knapper Form in den KrisenKompass© ein. Für die Zusammenarbeit im Schulbereich fand edyoucare im LCH, den Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz, einen kompetenten und überaus engagierten Partner. Als Verleger konnte der sehr kooperative und innovative Schulverlag gewonnen werden, der vernetzt und akzeptiert genug ist, um den KrisenKompass© im Rahmen der interkantonalen Lehrmittelzentrale ilz in der Deutschschweiz flächendeckend anzubieten.

3. Schwerpunkte

Besonderheit des KrisenKompass© im Vergleich zu anderer Fachliteratur 1 Aktualität:

Kurz nach dem Amoklauf in Winnenden liess der LCH das Kapitel Amok-(drohung) von der Konferenz der Kantonalen Polizeikommandanten beglaubigen. Das Hintergrunddossier über Psychotraumatologie von Kindern und Jugendlichen entspricht zudem aktuellstem Stand der Wissenschaft 2009.

2 Umfassender Inhalt:

Im Vergleich zu der ähnlichen Publikation der Schweizerischen Konferenz der Erziehungsdirektoren, EDK, von 2004 "Krisensituationen - ein Leitfaden für Schulen" (81 Seiten) umfasst der KrisenKompass© mit 253 Seiten eine Fülle zusätzlicher (neuer) Themen. Seit der Veröffentlichung des Leitfadens der EDK sind neue Krisenherde aufgetaucht (Handys sind zum Fotografieren, Filmen und Veröffentlichen viel leistungsfähiger, begünstigen damit stupid slapping oder die Zunahme von sexueller Gewalt; die Verfügbarkeit von Killerspielen, Onlinegames ist gestiegen, usw.)

3 Web 2.0:

Die interaktive website www.edyoucare.ch bietet über eine Wissenscommunity den Austausch von Fachwissen, konkreter Hilfestellung oder Fragen zu anstehenden Krisen. Zudem werden kostenlos sämtliche im KrisenKompass© abgedruckten Musterbriefe und Checklisten zum Download angeboten. Alle im Handbuch aufgeführten Links führen aktiv auf die empfohlenen Seiten weiter. über 100 zusätzliche Literaturhinweise und Songtexte zur Trauerverarbeiten ergänzen die Printausgabe. Auf Facebook wurde eine Gruppe zum KrisenKompass© gegründet. Denn hilfreich ist die rezeptbuchartige Aufbereitung der komplexen Themen auch für junge Leiterinnen und Leiter aus Cevi, Pfadi oder Freizeitvereinen.

4 Handling:

Der KrisenKompass© ist als Ringordner aufgebaut und erlaubt damit das Einlegen von eigenem Material wie Evakuationsplänen, Ablaufschemen, Krisenszenarien, Checklisten, bewährtem Material, Notfalltelefonnummern. Die fünf Register Krisen, Tod, Abschied, Hintergrund und Notfall sind als einzelne Broschüren gebunden. Bei Bedarf nimmt sich die verantwortliche Person das entsprechende Register heraus, der Rest bleibt im Ordner und steht weiterhin zur Verfügung. Das sechste Register Zusatzmaterial besteht aus Einzelblätter, damit die Literarischen Texte, Gebete, Symbolhandlungen, Abschiedsrituale einfacher kopiert werden können. Zusätzliche Fotos ermöglichen eine besondere Methode der Trauerverarbeitung. Im Weiteren liegen Checklisten Kriseninterventionssitzungen oder eine Liste für die örtlichen Notfallnummern bei, die ausgedruckt und ergänzt auf der Deckelinnenseite eingefügt werden kann.

5 Open System:

Der KrisenKompass© ist ein Dauerwerk und wird laufend aktualisiert und erweitert: Für nächsten Frühling ist eine Version für Deutschland und Österreich vorgesehen. Zusätzlich sind neue Themen in Form von „print on demand“ geplant und je nach Finanzierungsmöglichkeit eine engl. / franz. / ital. Ausgabe und ein zusätzliches Register für Notfall- und Armeeseelsorger und ein Register für die Besonderheiten in Privatschulen, Internaten, Schulheimen.

6 Personell (an-)greifbar:

Die Autoren des KrisenKompass© stehen im In- und Ausland für Weiterbildung zur Verfügung und garantieren damit eine unité de doctrine im Bereich Gewaltprävention, Krisenintervention und Trauerbegleitung.

4. Grenzen

Der KrisenKompass verzichtet bewusst auf eine detaillierte Umsetzung von Krisenkonzepten für die örtlichen Verhältnisse. Die Verantwortlichen erhalten für lokale Umsetzung zwar viele wertvollen Hintergrundinformationen und Vorlagen- aber die jeweiligen Bedürfnisse sind pro Kanton, städtischen oder dörflichen örtlichkeiten zu unterschiedlich, als dass ein mehrheitsfähiges Konzept sinnvoll ist. Denn damit bestünde die Gefahr, dass sich Schulen mit geringem Krisenvorbereitungsgrad in falscher Sicherheit wiegen und fälschlicherweise meinen, das Konzept aus dem KrisenKompass genüge, ohne mit den örtlichen Blaulicht- und Akutbetreuungsorganisationen im Kontakt zu stehen.

Selbstverständlich hat die einzelne Schule die Möglichkeit, in einem massgeschneiderten Weiterbildungsworkshop oder anlässlich einer Fachtagung oder eines pädagogischen Projekttages zusammen mit edyoucare das eigene Konzept zu erarbeiten, überprüfen und allenfalls ergänzen zu lassen. In verschiedenen Pädagogischen Hochschulen und Bildungseinrichtungen werden in Kürze entsprechende Kursangebote ausgeschrieben. Fazit

In Kombination von KrisenKompass© und örtlichen Konzepten können die Verantwortlichen im Kontext Schule das Mögliche tun, um eine gewaltfreie, von gegenseitiger Achtung geprägte Atmosphäre zu schaffen. Damit steigt die innere Motivation und die mentale Stärke von Schulleitung, Lehrpersonen, Schulsozialarbeit oder Behörde, um auch bei plötzlich auftauchenden oder grösseren Krisen sachgemäss reagieren zu können.

Wenn früh genug auf (Cyber-)Mobbing, Slapping, Drohungen, Erpressung, selbstverletzendes Verhalten, Rückzug, Vandalismus, depressive Störungen, häusliche oder sexueller Gewalt usw. adäquat reagiert wird, wenn sich Schulleitung, Lehrpersonen, SchulsozialarbeiterInnen zutrauen, hinzusehen, sachgemäss zu reagieren und im entscheidenden Moment zu delegieren, also Fachstellen beizuziehen, dann kann auch ein allfälliger Suizid oder Amoklauf präventiv vermieden werden. Christian Randegger, lic. theol.

- Projektleiter KrisenKompass© , Mitautor und Redaktor

- Kriseninterventionstrainer, Notfallseelsorger Der Text ist als Download unter www.edyoucare.net abrufbar.

Quelle: Kanton Bern, Schulbuchverlag plus AG, Juni 2009
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Externe Links
Schulverlag plus AG Edyoucare.ch
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