Schule Schweiz
Blickpunkt
end
Schweiz Schule im Wandel:
Von Mauern und Windmühlen
Bildungsforschung & Bildungsreformen
zurueck
Mai 2004
Die Welt im Wandel - Die Schule im Wandel
Mauern und Windmühlen Reformen folgen keinen Naturgesetzen Die wirtschaftlichen Fakten
Die Bildungsfakten Ansprüche und Realitäten Die Rufer in der Wüste
Entwicklung in den USA
Mauern und Windmühlen

"Wenn der Wind der Veränderung weht, so bauen die einen Mauern und die andern Windmühlen", propagieren die Nutzniesser der neusten Schulreformen. Die Symbolik dieser Aussage, welche wie ein längst veralteter Werbespot anmutet, ist klar. Wer die Richtung der neuen Reformbestrebungen hinterfrägt, bremst die Entwicklung in eine von den Schulreformern vorbestimmte Richtung. Werden da nicht neue Mauern aufgebaut? Ist die Symbolik nicht etwas zu klischeehaft? Sind Mauern in jedem Fall fortschrittshemmmend und Windmühlen das Beste vom Besten?

Hüten wir uns davor eine Schuldiskussion mit Schlagworten und Verunglimpfungen zu führen. Das ist gefährlich. Die Fakten sind klar und die Anzeichen sind deutlich.

Die Wirtschaft befindet sich in einem Wandel. Europa und damit die Schweiz müssen ihre wirtschaftlichen Ziele neu definieren. Der Wohlstand beginnt sich langsam umzuverteilen. Umsichtiges Handeln ist angesagt.


Reformen folgen keinen Naturgesetzen

Die Schweizer Bildungslandschaft will sich wandeln. Untersuchungen werden veranlasst und später Schlüsse daraus gezogen. Neue Reformideen entstehen, alte werden wieder verworfen. Bis die Umsetzung der veranlasssten Reformen endlich greift, vergehen in der Schweiz etwa neuen Jahre. Neun Jahre beträgt in der Schweiz bekanntlich die Volksschulzeit. Reformen brauchen Zeit. Zeit, welche man eigentlich gar nicht hat. Der Rhytmus des Wirtschaftswandels würde nach einer raschere Umsetzung der Bildungsreformen verlangen.

Die Bildungsreformen hinken den Anforderungen der Wirtschaft zwangsläufig hintennach. Eine breitangelegte Untersuchung im Kanton Bern zeigt, dass die Einführung der Schulleitung noch keine erkennbare Qualitätsverbesserung im Unterricht gebracht hat. Das Gegenteil ist der wohl eher der Fall.

Trotzdem ist die Einführung von Schulleitungen ein richtiger Schritt, der aber von anderen zumindest qualitätsicherden Massnahmen begleitet werden muss. Qualitätsabbau bei der Einführung von Schulleitungen ist kein Naturgesetz. Langfristige Strategien sind verlangt. Dazu gehört die Fähigkeit, die Zeichen der Zeit zu erkennen und richtig zu deuten. Nicht einfach! Während man an vielen Schweizer Schulen noch glaubt, das Lösen von gesellschaftlichen Problemen würde zwangsläufig zu einer Qualitätssteigerung der Kernkompetenzen führen, kommen aus den USA bereits andere warnende Signale. Zeichen der Zeit!


Die wirtschaftlichen Fakten

Die Wirtschaft generiert die Gelder, welche auch für die Schulbildung benötigt werden.

Die Bildungsausgaben werden in der Schweiz weitgehend duch Steuergelder finanziert. Die Binnen- und die Exportwirtschaft gehören zu den grössten Netto- Steuerzahlern.

Die Schweiz hat seit Jahren Mühe, das Wirtschaftswachstum anzukurbeln.

Investorengelder werden vermehrt von Hochlohn- zu den Billiglohnländern verlagert.

Die Schweiz hat sich zu einem die Dienstleistungsland entwickelt. Auf dem Dienstleistungssektor (Banken usw.) hat sich der Markt "globalisiert". Dank der Entwicklung IT-Technlogie können heute Dienstleistungen, welche von Schweizer Firmen geliefert werden, künftig von qualifizierten Mitarbeitern in anderen Ländern zu günstigeren Konditionen erbracht werden ( Offshoring, Outsourcing).

Die demografische Entwicklung ( Überalterung) führt in der Schweiz in absehbare Zeit zu einem Arbeitskräftemangel. Bei einem negativen Verlauf des Wirtschaftswachstums ist hingegen mit einem Fachkräfteüberschuss zu rechnen. Beide Aspekte sind wirtschaftlich gefährlich. Da gegenwärtig die Entwicklung des Bruttosozialproduktes (einer Art Wohlstandsgradmesser) nicht vorhersehbar ist, können die Folgen für die Schweizer Wirtschaft nicht abgeschätzt werden. Eine Risikoverminderungsstrategie ist unerlässlich, dabei spielt die Bildung eine zentrale Rolle.

Die Bildungsfakten

Die Schweiz hat in den PISA-Studien nicht den Erwartungen entsprechend abgeschnitten. Defizite beim Wissen und Mängel bei Fertigkeiten der Schweizer Schülerinnen und Schüler wurden erkennbar.

Länder, welche Schulleitungen schon seit Jahrzehnten installiert haben, haben in der PISA-Studie ebenfalls unbefriedigend abgeschnitten.
Erkenntnis: Die Einführung von Schulleitungen wird das Qualitätsproblem nicht allein lösen.

Länder, welche Tagesschulen schon seit langem kennen, haben ebenfalls in der PISA-Studie ebenfalls unbefriedigend abgeschnitten.
Erkenntnis: Die Einführung von Tagesschulen wird das Qualitätsproblem der Schweizer Schulen nicht allein lösen.

Die Erziehungsdirektoren haben die Situation anlalysiert und neue Bildungsziele formuliert. Ihre Arbeit verdient Annerkennung. Die pädagogischen Fachhochschulen begleiten den Entwicklungsprozess mit Rat und Tat. Die Umsetzung der angepassten Bildungsziele erfordert viel Zeit, überzeugungskraft und vor allem viel Geld. In einem Land wie der Schweiz, wo die Entsolidarisierung in weiten Teilen der Bevölkerung weit fortgeschritten ist und der Staat mit seinen Finanzen ringt, ist dies kein leichtes Unterfangen. Die direkte Demokratie, welche eher bewahrend, gegenwartsorientiert und egozentrisch wirkt, fördert die notwendige Prozessen nicht immer.

Ansprüche und Realitäten

In der Zeit des Lehrpersonenmangels wurden viele Studien über die Befindlichkeit der Lehrerinnen und Lehrer publiziert und gleich wieder ad acta gelegt. Die von den verschieden Eziehungsdirektionen veranlassten Studien, haben u.a. gezeigt, dass ...

- ... sich der Lehrerberuf zum Lehrerinnenberuf wandelt.

- ... besonders erfahrene, lange im Schuldienst stehende, männliche Lehrpersonen vom "Burn out"-Syndrom (siehe private Gesundheit vieler Lehrpersonen ist in Gefahr) betroffen sind.

... die Jahresarbeitszeit von Lehrpersonen in der Regel ferienbereinigt über der jener der übrigen Staatsangestellten (siehe Arbeitszeit von Lehrpersonen). Solche negativen Fakten werden bei neuen Lösungsansätzen von den Reformern mit Vorliebe ausgeblendet und verdrängt.

Schulleitungen sollen die Lehrkräfte entlasten und ihnen wieder mehr Zeit für ihr Kerngeschäft übrig bleibt, so steht es jedenfalls in den Beilagen zu den enstprechenden Abstimmungsvorlagen. Der Schulalltag zeigt jedoch oft eine andere Realität. Nicht weniger, sondern mehr Arbeit würde die Schulleitungen bringen, wird da mancherorts propagiert. Der "Burn out" lässt grüssen.

Auch die löbliche Absicht die Eltern stärker in den Bildungsprozess einzubinden scheitert oft an durchaus menschlichen Realitäten. In einer Zeit, wo sich die Entsolidarisierung festigt und der Arbeitsdruck (auch für viele Eltern) steigt, erinnern sich viele der Rechte und vergessen die Pflichten. Die Kooperation droht zu einer Flosskel zu werden. In den Elterngremien treffen sich vielfach Leute, welche ihren Einfluss bereits in den Gemeinde- oder Schulbehörden geltend machen können. Eine nicht erwünschte Einflusskummulationen entsteht.

Es steht ausser Zweifel, dass die Eltern für ihre Kinder eine gute (auf die Kernfächer ausgerichtete Ausbildung) wünschen. Der starke Trend zum Langzeitgymnasium im Kanton Zürich veranschaulicht die "Marktkräfte". In den Schulhäusern müssen (oder wollen) Lehrkräfte immer mehr Arbeitszeit für nichtkernunterricht bezogene Arbeiten einsetzten. Ein gegensätzlicher "Markttrend"?

In vielen Kantonen wurden den Lehrpersonen die sogenannten Privilegien wie Treueprämie, Ortszulagen usw. (siehe Lohnentwicklung) weggenommen. Bei den Lohnerhöhungen hat der Staat grösste Zurückhaltung geübt. Unberrücksichtig blieb, dass die Lehrpersonen über Jahre hinweg viele freiwillige Arbeitsleistungen (siehe private Leistungen) erbracht haben und diese oft noch selbst finanziert haben. Einige Steuergesetze (Pauschalabzüge!) benachteiligen die Lehrpersonen noch zusätzlich. Lohnebenleistungen wie Vergünstigungen, Rabatte, Sondereinkäufe usw. im Lehrerberuf weitgehend unbekannt.

Arbeitszeit- und Kostenerfassungsinstrumente (siehe private Leistungen) sind im Bildungssektor nahzu unbekannt. Wer behauptet, viel zu arbeiten, kann es nicht beweisen. Gut für den Staat (und damit für die Steuerzahlen), schlecht für die Gesundheit und die Psyche der Lehrpersonen (siehe Lehrpersonen: Gesundheit gefährdet)!

Die Rufer in der Wüste

von Willi Lemke, Bildungssenator im deutschen Bundesland Bremen

Einige Kernaussagen:

In vielen Familien nehmen die Eltern ihre Verantwortung nicht mehr wahr. In der Erziehung liegt vieles im Argen.
Werte sind etwas, das dem Kind vermittelt werden muss. Erziehung heisst nicht zuletzt, dass das Kind unterscheiden lernt.
Die Lehrer habe es sehr schwer gegen einen Trend. Fleissig sein ist nicht cool.
Die ideologiebehaftete Bildungspolitik der letzten Jahrzehnte hat trotz immensem Aufwand Einiges versäumt.
Man hat gesagt: «Es kann doch nicht so weitergehen. Wir brauchen mehr Lehrer.» Und dann hat man mehr Lehrer eingestellt. Und die Pisa-Ergebnisse sind trotzdem schlecht ausgefallen.
Ich habe den Eltern die Möglichkeit der Wahl gegeben. Sie sollten entscheiden, welche Schule, das Gymnasium oder die Gesamtschule, für ihr Kind die richtige und die beste ist.
Es ist wichtig, dass aus unseren Schulen emanzipierte Menschen und Bürger kommen. Aber Emanzipation ist nicht ein Wert für sich. Auf Kinder warten auch Aufgaben. Ausbildungsplätze werden auf dem Ausbildungsmarkt vergeben.
Willi Lemke sprach im Rahmen der Veranstaltungsreihe «Food for Thought» am Gottlieb-Duttweiler-Institut in Rüschlikon (April 2004)

von Professor Lucien Criblez, Leiter des Instituts Wissen und Vermittlung (IWV) im Departement Pädagogik an der Fachhochschule Aargau

Einige Kernaussagen:

Die nordischen Länder haben uns vorgemacht, dass auch mit einer Schule, die wenig Selektionsdruck aufweist, gute Ergebnisse erreicht werden können
Die Strukturfrage ist nicht die allein entscheidende Qualitätsgrösse.
Die freie Schulwahl lässt sich praktisch nur in städtischen Ballungszentren umsetzen.
Marktmechanismen erzeugen zwar Konkurrenz, und das sei nicht a priori schlecht. Aber die Dynamik, die sich einstelle, sollte man nicht unkontrolliert wirken lassen.
Erfahrungen aus England zeigen, dass es bei einer freien Schulwahl zuerst einmal die guten Schulen sind, die besser werden. Die schlechteren müssen die Schüler nehmen, die übrig bleiben.
Auszug aus einem Artikel der Aargauer Zeitung

Entwicklung in den USA

In den USA werden immer häufiger auch Arbeitsplätze für gut qualifiziertes Personal nach übersee ausgelagert. Der Wirtschaftsberater des Präsidenten beurteilte die Auslagerung gut bezahlter Arbeitsplätze nach übersee - «outsourcing» oder heute auch «offshoring» genannt - als «eine andere Art von Handel». Und anders als vor ein paar Jahren sind diesmal nicht nur «blue collar»-Jobs betroffen - Stahl- oder Autoarbeiter -, sondern auch gut bezahlte «white collar»-Jobs, bis hin zum Software- oder Buchhaltungs-Experten. Langfristig sei Outsourcing für die Wirtschaft positiv, meinte der Experte. Auch andere ökonomen finden, dass es zum «Outsourcing» keine Alternative gebe.

Im US-Senat wurde ein Gesetzesentwurf verabschiedet, der es Firmen, die Arbeitsplätze nach übersee ausgelagert haben, verbieten würde, sich um Regierungsaufträge zu bewerben. Andere Vorstösse wollen die Unternehmen dazu zwingen, betroffene Arbeitnehmer drei Monate im Voraus zu informieren oder ihren Kunden mitzuteilen, ob die «call center»-Angestellten, mit denen sie verkehren, im Ausland stationiert sind oder in den USA.

Solche protektionistische Initiativen seien volkswirtschaftlich gefährlich, warnen die ökonomen, denn man gefährde damit die Konkurrenzfähigkeit der amerikanischen Unternehmen und längerfristig den US-Lebensstandard. Der Federal- Reserve-Vorsitzende Alan Greenspan liess verlauten, dass seiner Meinung nach eine Verbesserung des US-Ausbildungssystems, vor allem in den Naturwissenschaften, die einzige konstruktive Reaktion auf das Outsourcing sei.

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