Schulabsentismus ist zu einem ernsten Problem geworden. Nicht nur in Deutschland, wo das Thema seit einiger Zeit in den Medien hohe Wellen wirft, sondern auch in der Schweiz. An den Schweizer Schulen und Bildungsdirektionen wird das Phänomen jedoch stillschweigend geduldet und kaum offen diskutiert. Schwänzen gilt in Fachkreisen weithin als individuelles Problem.Ihre
vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützte Studie "Schulabsentismus
in der Schweiz - ein Phänomen und seine Folgen" beruht auf einer Zufallsauswahl
von 28 Schulen und rund 4000 Schülerinnen und Schülern in neun
Kantonen der Deutschschweiz. Die befragten Schüler waren zwischen
12 und 17 Jahre alt und auf verschiedenen Schulniveaus angesiedelt. 65
Prozent besuchten eine Sekundarschule, Bezirksschule oder gymnasiale Vorbereitungsklassen. Folgende Ergebnisse haben sich gezeigt: Rund 50 Prozent aller Schüler haben im Laufe ihrer Schulzeit schon geschwänzt. Im internationalen Vergleich liegt diese Zahl über dem Durchschnitt. Jeder dritte Schüler schwänzt gelegentlich, das heisst, er ist im letzten halben Jahr der Schule mindestens einmal fern geblieben. Fast fünf Prozent der befragten Schüler sind im Laufe der letzten
sechs Monate mehr als fünfmal einen halben Tag der Schule fern geblieben.
In der Schweiz gibt es somit mehr massive Schulschwänzer als hochbegabte
Schüler.
Die
Schulabwesenheit wird nach Möglichkeit verborgen: Drei Viertel der Schüler geben an, in dieser Zeit alleine zu Hause zu sein, den Eltern wird meist Kranksein vorgespielt. In jeder dritten Familie sind die Eltern bereit, eine Entschuldigung zu schreiben. Jeder fünfte befragte Schüler hat schon die Unterschrift der Eltern gefälscht. Als Grund für das Fernbleiben geben 64 Prozent "Nullbock auf Schule" an, 42 Prozent wollen ausschlafen, 40 Prozent bezeichnen den Unterricht als langweilig. Diese Aspekte weisen auf eine gewisse Schulmüdigkeit und eine ablehnende Schuleinstellung hin. Auch die schulischen Anforderungen spielen eine Rolle. 22 Prozent der Schüler kommen mit der Lehrperson nicht zurecht und bleiben der Schule aus diesem Grunde fern. Auch lassen sich Modelleffekte erkennen: "Die anderen machen das auch" (19 Prozent). Wenige Schüler geben Mobbing und Bullying als Grund an. Margrit Stamm bezeichnet die fünf Prozent massiver Schulschwänzer als beachtliche Anzahl. Die meisten dieser Schüler gelten als Risikogruppe (50 Prozent). Sie besuchen Kleinklassen und Schulformen mit Grundansprüchen, weisen die schlechtesten Mathematiknoten und wegen hohen Klassenwiederholungsraten die höchste überalterung auf. Ihre Delinquenzbereitschaft ist hoch. Ungünstig sind auch die institutionellen Faktoren: Nicht nur die Lehrer-Schüler-Beziehungen sind nicht gut bis schlecht, auch das schulisches Kontrollsystem ist kaum als solches erkennbar. Die restlichen massivenSchulschwänzer (37 Prozent) sind labile Schulschwänzer. Sie weisen aktuell keine Risikofaktoren für Fehlentwicklungen auf. Auffallend ist jedoch, dass auch bei diesem Typus ein stringentes Absenzenwesen fehlt und die Lehrer-Schüler-Beziehungen als ungünstig bezeichnet wird. Die kleinste Gruppe bilden unterforderte oder gelangweilte Schüler auf höheren Schulniveaus (13 Prozent). Diese Jugendlichen besuchen Schulen mit inkonsistentem Absenzensystem, ihre Beziehung zur Lehrerschaft ist gut. Anhand dieser Ergebnisse wird deutlich, dass Schulabsentismus nicht nur als individuelles, sondern auch als institutionelles Problem betrachtet werden muss. Die Schulqualität
und Schulorganisation spielen offensichtlich eine wichtige Rolle. Schulen
und Bildungsdirektionen sollten das Thema künftig als wichtige pädagogische
Aufgabe verstehen, empfiehlt Margrit Stamm. Neben der Reflexion über
Beziehungsmuster und Unterrichtsmerkmale, wäre die Etablierung eines
wirksamen Absenzensystems wichtig: Eltern, Schulen und Lehrpersonen, die hinsehen und nicht wegsehen, bilden die wichtigste präventive Strategie. Auch die Eltern sind gefordert.
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