Schule und Bildung
Bildungsforschung Schweiz
Kanton Zürich: Zürcher Lernstandserhebungen Primarschule
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Lernstandvor dem Übertritt in die Sekundarstufe I 2011
Referat: Lernstand und Schulerfolg
Zürich Lernstandserhebung Primarschule 2005-2008
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Kanton Zürich - Lernstandserhebung in den Primarschulen
Referart von Herr PD Dr. Urs Moser, Institut für Bildungsevaluation der Universität Zürich
anlässlich der Medienkonferenz der Bildungsdirektion des Kantons Zürich vom 9. Juni 2011
Lernstand vor dem Übertritt in die Sekundarstufe I
Schulanfängerinnen und -anfänger von 2003

Es waren mehr als 2'000 Schülerinnen und Schüler des Kantons Zürich, von denen wir im Spätsommer 2003, kurz nach ihrem Eintritt in die 1. Klasse der Primarschule, die sprachlichen und mathematischen Fähigkeiten erhoben. Eine zweite Erhebung fand am Ende der 3. Klasse, eine dritte am Ende der 6. Klasse statt.

Es sind nicht mehr alle Schülerinnen und Schüler dabei. Einige haben während der Primarschulzeit den Kanton Zürich verlassen, andere wechselten auf eine Privatschule. Unsere Ausgangsstichprobe hat sich etwas verkleinert. Sie beträgt am Ende der 6. Klasse noch rund 1800 Schülerinnen und Schüle.

Zunahme der Leistungsunterschiede

Bereits beim Schuleintritt sprachen wir von einem sehr heterogenen Bild. Ein Teil der Kinder konnte bereits lesen oder im Zahlenraum bis 100 mathematische Operationen ausführen, ein anderer Teil kannte kaum Buchstaben oder Zahlen.
Die relativ grosse Heterogenität der schulischen Leistungen in Deutsch und Mathematik zeigte sich auch am Ende der 3. Klasse.

Die Leistungsunterschiede zwischen den Schülerinnen und Schülern wurden auf der Unterstufe nicht kleiner, aber auch nicht wesentlich grösser. Ganz anders auf der Mittelstufe: Zwischen der 4. und 6. Klasse öffnet sich die Schere zwischen den Leistungsstarken und den Leistungsschwachen. Die Leistungsunterschiede nehmen markant zu. Ich illustriere Ihnen dies am Beispiel der Mathematik.

 

Gemäss dem Lehrplan der Volksschule des Kantons Zürich sollen am Ende der 6. Klasse die schriftlichen Rechenverfahren für die Grundoperationen wie die Addition mehrerer Summanden, die Subtraktion mehrerer Subtrahenden, die Multiplikation mit zweistelligen Faktoren oder die Division mit einem zweistelligen Divisor gefestigt sein.

Rund 18 Prozent der Schülerinnen und Schüler erreichen dieses Ziel nicht und können die Rechenverfahren im verlangten Schwierigkeitsbereich nur bei der Addition und Multiplikation anwenden.

Rund 15 Prozent der Schülerinnen und Schüler beherrschen die Rechenverfahren hingegen auch bei schwierigen Aufgaben und sind in der Lage, mathematische Probleme zu lösen, wie sie mit vergleichbarer Schwierigkeit an der Aufnahmeprüfung fürs Langgymnasium gestellt werden.

Das Ergebnis überrascht nicht. Längst ist bekannt, dass nicht alle Schülerinnen und Schüler die Ziele des Lehrplans erreichen. Die Schere zwischen den eher leistungsstarken und den eher leistungsschwachen Schülerinnen und Schülern öffnet sich auf der Mittelstufe besonders stark. Eine Abbildung zeigt, wie sich die Anteile der leistungsstarken und leistungsschwachen Schülerinnen und Schüler auf der Mittelstufe verändern. Es sind in der 6. Klasse deutlich mehr Schülerinnen und Schüler, die die Ziele des Lehrplans nicht erreichen, aber auch mehr, die die Ziele des Lehrplans eher übertreffen.

Die Anforderungen an die Schülerinnen und Schüler nehmen auf der Mittelstufe zu. Das zeigt sich unter anderem daran, dass das Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten in Deutsch und Mathematik am Ende der 6. Klasse geringer ist als am Ende der 3. Klasse. Der Anteil an Schülerinnen und Schülern mit einem hohen Selbstvertrauen nimmt ab, der Anteil an Schülerinnen und Schülern mit einem tiefen Selbstvertrauen nimmt zu. Auch das fachliche Interesse beziehungsweise die Wertschätzung der Fächer Deutsch und Mathematik sinkt im Laufe der Mittelstufe. Das ist ein Phänomen, das auch aus anderen Studien bekannt ist.

Der Schereneffekt lässt sich vor allem durch die sozioökonomische Herkunft der Kinder erklären. Je privilegierter die sozioökonomische Herkunft ist, desto grösser ist der Leistungszuwachs in der Schule. Aufgrund dieses Zusammenhangs vergrössern sich die Leistungsunterschiede zwischen den Schülerinnen und Schülern unterschiedlicher sozioökonomischer Herkunft im Lesen und in der Mathematik; Leistungsunterschiede, die bereits beim Schuleintritt bestehen.

Eine Abbildung zeigt den Leistungszuwachs von sozioökonomisch privilegierten und sozio-ökonomisch benachteiligten Kindern. Es handelt sich um Netto-Effekte. Das bedeutet, dass alle möglichen relevanten Merkmale wie das Alter, die Erstsprache, das Geschlecht und die kognitive Grundfähigkeit statistisch kontrolliert sind. Bei Schuleintritt beträgt der Unterschied zwischen den beiden Gruppen 14 Punkte und ist somit eher gering. Nach der 3. Klasse sind es bereits 39 Punkte, was immerhin einem mittleren Effekt entspricht, und am Ende der 6. Klasse sind es 66 Punkte, was mehr als der durchschnittliche Leistungszuwachs während eines Schuljahres ist.


Bedeutung der Klassenzusammensetzung

Nun ist es hinreichend bekannt, wie gross die Bedeutung der Unterstützung der Kinder durch ihre Eltern für den Schulerfolg ist. Neben dem Elternhaus spielt es aber auch eine Rolle, in welcher Klasse ein Kind unterrichtet wird. Zum einen ist ein Teil der Leistungsunterschiede immer auch auf die Lehrperson zurückzuführen. Zum andern unterscheiden sich die Voraussetzungen zu unterrichten für die Lehrpersonen von Klasse zu Klasse. Zwei für die Leistungsentwicklung bedeutsame Faktoren sind die soziale Zusammensetzung der Klasse und der Anteil an Schülerinnen und Schülern mit Deutsch als Zweitsprache.

Eine Abbildung zeigt, dass ein relativ enger Zusammenhang zwischen der sozialen Zusammen-setzung der Klasse und den Klassenmittelwerten in Deutsch besteht. Je höher die durchschnittliche sozioökonomische Zusammensetzung der Klasse ist, desto höher sind die Klassenmittelwerte im Deutschtest. Auch der Anteil an Schülerinnen und Schülern mit Deutsch als Zweitsprache ist von Bedeutung. Je höher dieser Anteil ist, desto tiefer sind die Klassenmittelwerte im Deutschtest.

Die Zusammensetzung der Klasse ist nicht nur für den Klassenmittelwert von Bedeutung, sondern auch für die Leistungen der einzelnen Kinder. Vergleichbare Schülerinnen und Schüler erzielen in Klassen mit einer vorwiegend privilegierten sozialen Zusammensetzung bessere Deutsch- und Mathematikleistungen als in Klassen mit einer weniger privilegierten sozialen Zusammensetzung, und je höher der Anteil an Schülerinnen und Schülern mit Deutsch als Zweitsprache ist, desto tiefer sind die Deutsch-und Mathematikleistungen.

Wenn beispielsweise eine Schülerin durchschnittlichen Alters mit Deutsch als Erstsprache und mit durchschnittlicher sozialer Herkunft eine Klasse mit einem Anteil an Schülerinnen und Schülern mit Deutsch als Zweitsprache von 80 Prozent besucht, dann fallen ihre Deutschleistungen um rund 30 Punkte und ihre Mathematikleistungen um rund 20 Punkte tiefer aus, als wenn diese Schülerin eine Klasse mit einem Anteil an Schülerinnen und Schülern mit Deutsch als Zweitsprache von 20 Prozent besucht.

Verzerrungen bei der Beurteilung

Weil die Lernstandserhebung am Ende der 6. Klasse durchgeführt wurde, bildete die Leistungsbeurteilung einen Schwerpunkt der Untersuchung. Die Beurteilung der Schülerinnen und Schüler gehört zu den schwierigen Aufgaben der Lehrpersonen. Unsere Untersuchung zeigt, dass der Zusammenhang zwischen den Testleistungen und den Noten gross ist. Unterschiede in den Noten lassen sich vorwiegend durch die Testleistungen erklären. Es gibt aber auch Anzeichen dafür, dass sich Lehrpersonen bei der Beurteilung systematisch an individuellen Merkmalen orientieren.

– Schülerinnen und Schüler aus sozioökonomisch benachteiligten Verhältnissen werden bei gleichen Testleistungen etwas tiefer beurteilt als solche aus sozial privilegierten Verhältnissen.

– Schülerinnen und Schüler mit Deutsch als Zweitsprache werden bei gleichen Testleistungen etwas tiefer beurteilt als solche mit Deutsch als Erstsprache.

Ein Schüler mit Deutsch als Zweitsprache aus sozioökonomisch benachteiligten Verhältnissen wird bei gleicher Testleistung in der Mathematik 0,36 Notenpunkte, in Deutsch 0,4 Notenpunkte tiefer beurteilt als ein Schüler mit Deutsch als Erstsprache, der aus sozial privilegierten Verhältnissen stammt.

Nun gilt es allerdings zu berücksichtigen, dass wir mit unseren Tests die produktiven Kompetenzen wie das Schreiben und Sprechen und auch andere Aspekte, die in die Beurteilung der Lehrpersonen einfliessen, nicht berücksichtigt haben. Vielleicht wäre das Ergebnis anders ausgefallen, hätten wir auch andere Fähigkeiten getestet.

Die leichten Verzerrungen betreffen übrigens nicht nur Kinder aus sozioökonomisch benachteiligten Verhältnissen beziehungsweise Kinder mit Deutsch als Zweitsprache. Wer eine leistungsstarke Klasse besucht, wird bei der Beurteilung ebenfalls benachteiligt. In leistungsschwachen Klassen ist der Beurteilungsmassstab offensichtlich etwas milder als in leistungsstarken Klassen. Die Daten zeigen, dass die Lehrpersonen unterschiedliche Beurteilungsmassstäbe anwenden, die durch den Leistungsstand der Klasse geprägt sind.

Ein Schüler erhält für seine Leistungen in einer Klasse mit einem Mittelwert von 750 Punkten eine um
0.27 Punkte bessere Deutschnote als in einer Klasse mit einem Mittelwert von 850 Punkten.

Übertritt in die Schultypen der Sekundarstufe I

Mit der Beurteilung verbunden ist der Übertritt in die Schultypen der Sekundarstufe I. Auch bei diesem spielt die sozioökonomische Herkunft eine gewisse Rolle: Bei gleichen Testleistungen treten Schülerinnen und Schüler aus sozioökonomisch privilegierten Verhältnissen öfter ins Langgymnasium oder in die Abteilung A über als solche aus sozial benachteiligten Verhältnissen. Die Erstsprache hängt hingegen nicht mit dem Übertritt ins Gymnasium zusammen, sofern die Leistungen und die soziale Herkunft der Schülerinnen und Schüler statistisch kontrolliert sind.

Dass Schülerinnen und Schüler mit sozioökonomisch privilegierter Herkunft eher ans Langgymnasium übertreten, lässt sich am ehesten durch herkunftsbedingte Bildungsaspirationen erklären. Wer über viel Bildung verfügt, setzt alles daran, dass auch seine Kinder über viel Bildung verfügen.

Eine Möglichkeit dazu bietet sich auch bei der Vorbereitung auf die Aufnahmeprüfung des Langgymnasiums. Vorbereitungskurse kosten Geld, und sie zeigen Wirkung. Durch den Besuch eines zusätzlichen Unterrichts zur Prüfungsvorbereitung ausserhalb der Schule lassen sich die Chancen für den Übertritt ins Langgymnasium verbessern.

Die Wahrscheinlichkeit für den Übertritt ins Langgymnasium beträgt für ein Mädchen mit sozioöko-nomisch privilegierter sozialer Herkunft mit den Noten 5.5 in Deutsch und Mathematik ohne Vorbereitungskurs 71 Prozent, mit Vorbereitungskurs 80 Prozent.

Fazit

Verzerrungen bei der Beurteilung und bei Schullaufbahnentscheiden sind ohne Zweifel ungerecht. Sie werden in den Medien, aber auch in Fachjournalen häufig so dargestellt, dass der Eindruck entsteht, die Beurteilung der Schülerinnen und Schüler sei vor allem das Produkt von Herkunft und Zufall. Dieser Eindruck ist erstens falsch und lenkt zweitens den Blick vom eigentlichen Problem ab. Beurteilung und Schullaufbahnentscheide sind zum grossen Teil durch die Leistungen der Schülerinnen und Schüler gedeckt. Der Grund, weshalb Kinder aus sozioökonomisch benachteiligten Familien zu den Bildungsverlierern gehören, liegt nicht primär in einer diskriminierenden Beurteilung. Vielmehr ist ihre Ausgangslage zu Beginn der Schule bereits deutlich schlechter und diese Startschwierigkeiten können während der Schullaufbahn nicht aufgeholt werden. Im Gegenteil: Sie werden grösser, weil die herkunftsbedingte Unterstützung während der Schulzeit nicht an Einfluss verliert.

Quelle: Text Bildungsdirektion des Kantons Zürich, Institut für Bildungsevaluation, Assoziiertes Institut der Universität Zürich, Juni 2011


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Kanton Zürich
Lernstandserhebung zu Beginn beim Eintritt in die ersten Klasse

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