Bern, 25.05.2011 Sinn und Zweck der Energieperspektiven Bei allen energiepolitischen Weichenstellungen dienten Energieperspektiven als Grundlage. Seit der Gesamtenergiekonzeption von Mitte der 1970er Jahre werden sie periodisch erstellt und aufdatiert. In den 1990er Jahren hat der Bundesrat auf dieser Basis beispielsweise den Energienutzungsbeschluss, das Energiegesetz und die CO2-Abgabe beschlossen. Zuletzt hat er am 21. Februar 2007 aufgrund der "Energieperspektiven 2035" entschieden, seinee Energiestrategie auf die vier Säulen Energieeffizienz, erneuerbare Energien, Grosskraftwerke und eine aktive Energieaussenpolitik abzustützen. Energieperspektiven arbeiten mit Szenarien und quantitativen Modellen, welche die verschiedenen Elemente des Energiesystems sowie ihre gegenseitige Beeinflussung berücksichtigen. Beispielsweise werden Energieangebot und -nachfrage durch die Energiepreise beeinflusst. Energieperspektiven sind keine Prognosen, sondern Wenn-Dann-Analysen. Sie bilden eine mögliche "Wirklichkeit" ab und zeigen, wie sich Energiepreise, Wirtschafts-und Bevölkerungswachstum (Rahmenentwicklungen) sowie Vorschriften, preisliche Instrumente und Förderinstrumente (Politikinstrumente) auf das Energiesystem auswirken. Resultate der neuen Energieperspektiven Der Bundesrat hat das UVEK am 23. März 2011 beauftragt, die "Energieperspektiven 2035" aus dem Jahr 2007 anhand von drei Stromangebotsvarianten zu aktualisieren. Die Analyse hat zu folgenden Erkenntnissen geführt: 1. Entwicklung der Nachfrage Mit Weiterführung der bisherigen Energiepolitik steigt der Stromverbrauch trotz immer effizienteren Geräten und Anwendungen bis 2050 weiter an (vgl. Grafik 1). Dies aufgrund von Bevölkerungswachstum (2050 wohnen rund 9 Millionen Menschen in der Schweiz), Mehrfachausstattungen (z.B. Zweitgeräte oder -fahrzeuge) oder neuen Geräten und Anwendungen. Bis 2050 nimmt zudem die Elektrifizierung des Verkehrs stark zu. Bereits eingeführte und umgesetzte Massnahmen für Energieeffizienz und erneuerbare Energien (z.B. Kostendeckende Einspeisevergütung KEV, Gebäudeprogramm, Fahrzeugstandards etc.) sind in der Nachfrageentwicklung berücksichtigt. Der Landesverbrauch inkl. der Energie für die heute bestehenden Pumpspeicherkraftwerke steigt bis 2050 auf 86,3 Milliarden kWh. Durch den ab 2015 geplanten Zubau neuer Pumpspeicherkraftwerke erhöht sich der Landesverbrauch bis 2050 auf 91,9 Milliarden kWh. Grafik 1: Bestehender Kraftwerkspark, Stromnachfrage, und Deckungsbedarf. Zwischen 2015 und 2020 ist ein Ausbau der Pumpspeicherkraftwerke vorgesehen. Für deren Betrieb braucht es zusätzlich rund 6 Milliarden kWh (6 Terawattstunden TWh) Strom, die im oben gezeigten Landesverbrauch noch nicht enthalten sind und den Deckungsbedarf entsprechend erhöhen. 2. Analyse der Stromangebotsvarianten des Bundesrats In allen drei Stromangebotsvarianten steigen aller Wahrscheinlichkeit nach die Gestehungskosten bis 2050 an. Dies aufgrund der wachsenden Nachfrage, die den Einsatz von mehr Kraftwerken erfordert, die wiederum deutlich teurer sind als alte Kraftwerke. Stromangebotsvariante 1 Weiterführung der bisherigen Stromproduktion mit allfälligem vorzeitigem Ersatz der ältesten drei KKW im Sinne der grösstmöglichen Sicherheit. • Ausgestaltung: Die heutige Energiepolitik mit den vier Säulen Energieeffizienz, erneuerbare Energien, Grosskraftwerke und Energieaussenpolitik wird weitergeführt, die Stromnachfrage entwickelt sich im bisherigen Rahmen. Für die Stromproduktion werden vor allem grosse Anlagen eingesetzt. • Optionen zum Schliessen des Deckungsbedarfs: Ersatz der drei ältesten Kernkraftwerke (Mühleberg, Beznau I + II) durch zwei neue Kernkraftwerke. Bis diese um das Jahr 2027 ans Netz gehen, wird der Deckungsbedarf mit Stromimporten geschlossen. Auch die Kernkraftwerke Gösgen und Leibstadt werden dereinst durch zwei neue Kernkraftwerke ersetzt. Wird auf den Bau von Ersatzkernkraftwerken verzichtet, müssen zwischen 2017 bis 2050 Gaskombikraftwerke (GuD) eingesetzt werden, die auch die wegfallenden langfristigen Strombezugsverträge mit Frankreich ersetzen. Strom aus erneuerbaren Energiequellen und aus kraftkopplungsanlagen (WKK) ergänzen den Strommix. • Beurteilung: Grosskraftwerke bilden weiterhin das Rückgrat der Stromversorgung, die Stromnetze müssen schrittweise aus- und neu gebaut werden. Eine optimale Anbindung ans europäische Netz ist sicherzustellen, ein Umbau der Verteilnetze zu "Smart Grids" ist allerdings nicht zwingend erforderlich. Abgesehen von den Nuklearbrennelementen bleibt die Auslandabhängigkeit gering. Wird in der Übergangszeit bis zur Inbetriebnahme der Ersatzkernkraftwerke auf GuD verzichtet, erhöhen sich die CO2-Emissionen der Stromproduktion nur aufgrund zusätzlicher kraftkopplungsanlagen (WKK). Stromangebotsvariante 2 Kein Ersatz der bestehenden Kernkraftwerke am Ende ihrer sicherheitstechnischen Betriebsdauer. • Ausgestaltung: Die heute bestehende Energiepolitik wird weitergeführt, die Stromnachfrage entwickelt sich im bisherigen Rahmen. Der Verzicht auf den Ersatz der alten Kernkraftwerke schränkt die Optionen der künftigen Stromproduktion ein. • Optionen zum Schliessen des Deckungsbedarfs: Die Kernkraftwerke werden nach Ablauf ihrer sicherheitstechnischen Betriebsdauer (voraussichtlich 50 Jahre) nicht ersetzt und stillgelegt (Beznau I; 2019; Beznau II und Mühleberg: 2022; Gösgen: 2029; Leibstadt: 2034). Der Deckungsbedarf wird mit einem optimalen Mix aus Wasserkraft, neuen erneuerbaren Energien, WKK-Anlagen, GuD und Stromimporten geschlossen. Der Wasserkraft kommt eine zentrale Bedeutung zu, sie muss entsprechend weiter ausgebaut werden. • Beurteilung: Die stufenweise wegfallende Produktion der Kernkraftwerke muss durch Wasserkraft, neue erneuerbare Energien, WKK-Anlagen und GuD ersetzt werden. Durch die vermehrte fossil-thermische Stromproduktion entstehen im Jahr 2050 je nach Anteil WKK und GuD zusätzlich 1,09 - 11,92 Millionen Tonnen CO2. Andererseits werden die CO2-Emissionen im Energiebereich durch die Weiterführung der Massnahmen der bestehenden Energiepolitik bis ins Jahr 2050 um 14,4 Millionen Tonnen CO2 gegenüber 2009 reduziert, so dass die Gesamtemissionen auch bei vermehrter fossiler Stromproduktion nicht weiter zunehmen. Die Stromnetze müssen rasch aus- und neugebaut werden und ein Umbau der Verteilnetze zu "Smart Grids" ist zwingend nötig. Eine optimale Anbindung ans europäische Netz ist weiterhin sicherzustellen. Die volkswirtschaftlichen Kosten für den Um- und Neubau des Kraftwerkparks und für Massnahmen zur Reduktion der Stromnachfrage belaufen sich ersten Berechnungen zufolge auf 0,4 bis 0,7 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP). Stromangebotsvariante 3 Vorzeitiger Ausstieg aus der Kernenergie, bestehende Kernkraftwerke werden vor Ende ihrer sicherheitstechnischen Betriebsdauer abgestellt. • Ausgestaltung: Die heute bestehende Energiepolitik wird weitergeführt, die Stromnachfrage entwickelt sich im bisherigen Rahmen. Die bestehenden Kernkraftwerke werden nach 40 Jahren Laufzeit stillgelegt und nicht ersetzt (Beznau I + II und Mühleberg: 2012, Gösgen: 2019 und Leibstadt: 2024). • Optionen zum Schliessen des Deckungsbedarfs: Wasserkraft, neue erneuerbare Energien und WKK müssen stark ausgebaut werden. Zudem müssen GuD kurz bis mittelfristig stark ausgebaut und erheblich höhere Stromimporte getätigt werden. Durch die fossile Stromproduktion nehmen die zusätzlichen CO2-Emissionen kurz- bis mittelfristig sehr stark zu. Andererseits werden die CO2-Emissionen im Energiebereich durch die Weiterführung der Massnahmen der bestehenden Energiepolitik bis ins Jahr 2050 um 14,4 Millionen Tonnen CO2 reduziert. Die Auslandsabhängigkeit in der Stromversorgung steigt an, da entweder höhere Gasimporte oder stärkere Stromimporte nötig sind. • Beurteilung: Bei einem vorzeitigen Ausstieg aus der Kernenergie kann die bestehende Energiepolitik nicht weitergeführt werden, da zur Deckung der Stromnachfrage ein massiver Einsatz fossil-thermischer Anlagen (WKK und GuD) nötig wäre und eine hohe Auslandsabhängigkeit bei der Stromversorgung (Gasimporte, Stromimporte) in Kauf genommen werden müsste. Aufgrund der ab 2012 massiv höheren Mengen an Stromimporten würde das nationale Stromnetz an seine Kapazitätsgrenzen stossen. Der nötige Umbau der Stromproduktionsinfrastruktur (Um- und Neubau von Kraftwerkpark und Netzen sowie Massnahmen zur Reduktion der Stromnachfrage) führt kurz- bis mittelfristig zu sehr hohen Kosten. Die Belastung der Schweizer Wirtschaft im globalen Wettbewerb wäre durch die national steigenden Energiepreise gross. Zudem müsste die Äufnung des Stillegungs- und Entsorgungsfonds neu geregelt werden. 3. Schrittweiser Ausstieg - Stromangebotsvariante 2 Der Bundesrat setzt gestützt auf die aktualisierten Energieperspektiven auf einen schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie und verfolgt somit die Stromangebotsvariante 2 weiter. Das erfordert eine neue Energiepolitik, mit dem Ziel, die gesamte Endenergienachfrage bis 2050 erheblich zu reduzieren (vgl. Grafik 2): Grafik 2: Deckungsbedarf mit neuer Energiepolitik. Zwischen 2015 und 2020 ist ein Ausbau der Speicherpumpen vorgesehen. Für deren Betrieb braucht es zusätzlich rund 6 Milliarden kWh (6 Terawattstunden TWh) Strom, die im oben gezeigten Landesverbrauch noch nicht enthalten sind und den Deckungsbedarf entsprechend erhöhen. Die neue Energiepolitik verstärkt den bisherigen Weg, der auf dem Konzept der 2000-Watt-Gesellschaft oder einer 1 Tonnen CO2-Pro-Kopf-Gesellschaft basiert. Im Zentrum stehen die Energieeffizienz und die Förderung der erneuerbaren Energien. Voraussetzung dafür ist ein energiepolitischer und gesellschaftlicher Paradigmenwechsel. Mit der neuen Energiepolitik steigt die Stromnachfrage noch einige Jahre leicht an und sinkt bis 2050 auf 56,4 Milliarden kWh (56,4 Terawattstunden TWh), inklusive Ausbau der Pumpspeicherung auf 61,86 Milliarden kWh. • Mit einer neuen Energiepolitik können die CO2-Emissionen im Energiebereich um 26 Millionen Tonnen CO2 gegenüber 2009 reduziert werden. Durch die fossile Stromproduktion fallen 2050 je nach Anteil WKK und GuD zwischen 1,09 und 5,9 Millionen Tonnen CO2 an. • Stromimporte sind weiterhin für den temporären Ausgleich nötig. Es muss ein rascher Um- und Neubau der Übertragungsnetze und ein Umbau der Verteilnetze zu "Smart Grids" erfolgen. Eine optimale Anbindung ans europäische Netz muss sichergestellt werden. • Der Wechsel von einer zentralen zu einer vermehrt dezentralen und unregelmässigen Stromerzeugung führt zu einer grundlegenden Veränderung des Kraftwerkparks: Da die Sonne nicht immer scheint und der Wind nicht immer bläst, müssen künftig entsprechende Reserve- und Speicherkapazitäten bereitgestellt und das bewährte Zusammenspiel zwischen Bandenergie und Spitzenstrom neu gestaltet werden. • Der Umbau des Energiesystems Schweiz ist unter Berücksichtigung möglicher Interessenskonflikte sowie Zielsetzungen in den Bereichen Klima-, Gewässer- und Landschaftsschutz und Raumplanung sowie unter Wahrung der bewährten Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantone zu vollziehen.
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