Im Kanton Bern sind 32'000 Haushalte arm und 20'000 Haushalte armutsgefährdet. Dies zeigt der erste Sozialbericht für den Kanton Bern, den Gesundheits- und Fürsorgedirektor Philippe Perrenoud am 4. Dezember 2008 in Bern vorgestellt hat. Für den Bericht wurden flächendeckend Steuerdaten wissenschaftlich ausgewertet. Gleichzeitig gibt der Sozialbericht von Armut betroffenen Menschen eine Stimme. Der
erste Sozialbericht des Kantons Bern will ein ganzheitliches Bild des Themas
Armut, Existenzsicherung und Sozialhilfe im Kanton Bern vermitteln und
einen Beitrag für eine sachliche Diskussion dieser Themen leisten.
Dabei geht der Sozialbericht neue Wege, indem er nicht nur der Wissenschaft,
sondern in einem eigenen Band auch von Armut betroffenen Menschen eine
Stimme gibt.
Der erste Band des Sozialberichts enthält die wissenschaftliche Analyse der wirtschaftlichen Situation der Berner Kantonsbevölkerung. Als primäre Datenquellen dienten die Schweizerische Sozialhilfestatistik des Bundesamtes für Statistik und - in dieser Art erstmalig - die Staatssteuerdaten. Die umfassenden Daten zeigen, dass rund sieben Prozent der Berner Haushalte als arm, weitere fünf Prozent als armutsgefährdet bezeichnet werden müssen. Im Kanton Bern gibt es über 50'000 arme oder armutsgefährdete Haushalte, in denen gut 90'000 Personen leben, die auf Bedarfsleistungen angewiesen sind. Darunter sind über 20'000 Kinder. Regierungsrat
Philippe Perrenoud hat diese Umstände als unhaltbar bezeichnet. Der
Kanton Bern braucht deshalb eine langfristige Strategie zur nachhaltigen
Reduktion der Armut. In einer ersten Phase will die Gesundheits- und Fürsorgedirektion
(GEF) den Sozialbericht in der Öffentlichkeit und in den interessierten
sozialpolitischen Kreisen breit diskutieren lassen. Anschliessend werden
entsprechende Massnahmen erarbeitet. Ziel ist es, innert 10 Jahren die
Armut im Kanton Bern zu halbieren.
Kinder/Familie: Das grösste Armutsrisiko tragen die Jüngsten
Jedes zehnte Kleinkind zwischen 0 und 5 Jahren bezieht über seine Eltern Leistungen der Sozialhilfe, während die durchschnittliche Sozialhilfequote bei 4,3 Prozent liegt. Gemessen an allen Sozialhilfebeziehenden machen Kinder von 0 bis 15 Jahren 30 Prozent aller Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger im Kanton Bern aus. Im Kanton Bern ist jeder vierte Alleinerziehendenhaushalt auf die Sozialhilfe angewiesen. Dies unter anderem, weil die Alimentenzahlungen nicht einmal die Hälfte der Haushaltseinkommen von Alleinerziehenden abdecken. Jugendliche
und junge Erwachsene:
Jugendliche und Erwachsene zwischen 16 und 25 Jahren weisen eine überdurchschnittliche Sozialhilfequote von 6 Prozent auf. Dabei haben Jugendliche und junge Erwachsene mit ausländischer Nationalität ein deutlich höheres Armutsrisiko (Sozialhilfequote von 15%) als Schweizer Jugendliche (Sozialhilfequote von 4,5%). Zwei wesentliche Gründe für das überdurchschnittliche Armutsrisiko von Jugendlichen und jungen Erwachsenen sind die mangelnde Integration in den Arbeitsmarkt und Leistungslücken des Sozialversicherungssystems. Personen
im erwerbsfähigen Alter:
Im Kanton Bern ist jeder zwanzigste Haushalt ein Working Poor-Haushalt. Das heisst, dass das Einkommen trotz Vollzeitstelle nicht reicht, um die Existenz des Haushalts zu sichern. Eine
weitere wichtige Einkommensquelle für Personen im erwerbsfähigen
Alter sind Leistungen der Sozialversicherungen:
8 Prozent der Haushalte mit einem Haushaltsvorstand im Erwerbsalter beziehen Erwerbsersatzleistungen. Weitere 16 Prozent beziehen bereits im Erwerbsalter Renteneinkommen. Trotz Leistungen der Sozialversicherungen sind immer noch 11,3 Prozent der Haushalte arm oder armutsgefährdet und auf kantonale Sozialleistungen oder private Unterstützung angewiesen. Senioren:
Trotz
ausgebautem Rentensystem der ersten und zweiten Säule verfügen
immer noch 13 Prozent der Haushalte mit einem Haushaltsvorstand im AHV-Rentenalter
über ein Haushaltseinkommen unter der Armutsgefährdungsgrenze
und sind auf bedarfsabhängige Leistungen angewiesen. Die Ergänzungsleistungen
der AHV und der IV haben für die Existenzsicherung von Seniorenhaushalten
eine zentrale Bedeutung.
Der zweite Band des Berner Sozialberichts ist den Menschen gewidmet, die von der Armut direkt betroffen sind. In längeren Interviews haben armutsbetroffene Personen eine Plattform gefunden, Aspekte ihrer Lebensgeschichte zu beleuchten, ihre aktuelle Lebenssituation offen zu schildern, ihre ängste, Enttäuschungen und Hoffnungen frei zu artikulieren. Damit wird Armut fassbar, erhält ein Gesicht oder zumindest eine Stimme. Am 1. Dezember 2008 hat der Gesundheits- und Fürsorgedirektor, Philippe Perrenoud, die interviewten Personen im Rathaus zu einem längeren Gespräch empfangen. Es war der erste Schritt zu einem Dialog zwischen zwei Welten, dem in Zukunft mehr Bedeutung zugemessen wird. Wegen der gesamtgesellschaftlichen Bedeutung der Sozialen Sicherheit will die Gesundheits- und Fürsorgedirektion die Sozialberichterstattung als permanentes sozialpolitisches Planungsinstrument etablieren. Deshalb ist bereits der 2. Sozialbericht geplant. Dieser soll 2010, im EU-Jahr der Armut und der sozialen Ausgrenzung, erscheinen..
Am 4. 12.2008 hat die Gesundheits- und Fürsorgedirektion den ersten Sozialbericht für den Kanton Bern veröffentlicht. Im Vordergrund des Berichts steht das Thema der Existenzsicherung. Um ein ganzheitliches Bild der Existenzsicherung zu vermitteln, ist der Sozialbericht in zwei Bände unterteilt: Im ersten Band wird anhand von Zahlen, Fakten und Analysen einerseits die wirtschaftliche Situation der Berner Kantonsbevölkerung beschrieben, andererseits wird die institutionelle Ausgestaltung des Systems der sozialen Sicherheit aufgezeigt und analysiert. Der Fokus des zweiten Bandes liegt in den Stimmen armutsbetroffener Menschen - zehn armutsbetroffene Personen aus dem Kanton Bern geben in Interviews Einblick in ihren Alltag, der geprägt ist von prekären finanziellen Möglichkeiten.
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