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DLR BepiColombo auf dem Weg zur Venus und zum Merkur 2020
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«BepiColombo»

BepiColombo auf dem Weg zur Venus und zum Merkur

Schwerkraft-Bremsmanöver an der Erde mit Blick auf den Mond

Raumfahrt ist Massarbeit in höchster Präzision: In den frühen Morgenstunden am Karfreitag, dem 10. April 2020, fliegt die ESA-Raumsonde BepiColombo mit über 30 Kilometern pro Sekunde von der Tagseite kommend auf die Erde zu. Sie wird um 6.25 Uhr MESZ über dem Südatlantik in 12'677 Kilometer Höhe den Punkt der grössten Annäherung passieren und dadurch auf der Nachtseite weiter in Richtung inneres Sonnensystem fliegen, nun etwas langsamer, als sie angekommen ist. Für Planetenforscher und Ingenieure am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und dem Institut für Planetologie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster eine einmalige Gelegenheit zu einem besonderen Experiment am Erdtrabanten: Ohne Störungen durch die Erdatmosphäre wird die von der Sonne angestrahlte Vorderseite des Mondes mit dem am DLR entwickelten und gebauten Spektrometer MERTIS (Mercury Radiometer and Thermal Infrared Spectrometer) schon am 9. April 2020 erstmals in den Wellenlängen des thermalen Infrarot beobachtet und auf ihre mineralogische Zusammensetzung untersucht. Am Merkur wird MERTIS die Zusammensetzung und die Mineralogie der Oberfläche und das Planeteninnere des Merkur untersuchen. Die wissenschaftliche Auswertung der Daten wird dann gemeinsam an den beteiligten Instituten in Münster, Berlin, Göttingen und Dortmund sowie mehreren europäischen und amerikanischen Standorten stattfinden.

Das Flyby-Manöver oder 'Gravity-Assist-Manöver' mir Swing-by-Technik

Das sogenannte Flyby-Manöver an der Erde dient vor allem dazu, BepiColombo ohne den Einsatz von Treibstoff ein wenig abzubremsen, um die Raumsonde auf einen Kurs zur Venus zu bringen. Während die Sonde auf ihrer spiralförmigen Bahn durchs innere Sonnensystem mit einer Geschwindigkeit von 30,4 Kilometer pro Sekunde auf die Erde zu fliegt, verlässt BepiColombo die Erde nach dem Richtungswechsel mit einer Geschwindigkeit von nur noch etwa 25 Kilometer pro Sekunde. Mit zwei nachfolgenden Nahvorbeiflügen an der Venus (der erste Vorbeiflug am inneren Nachbarplaneten der Erde wird bereits am 16. Oktober 2020 stattfinden) wird BepiColombo dann auf einer Flugbahn sein, die zum Ziel der sechsjährigen Reise führt, einer Umlaufbahn um den innersten Planeten des Sonnensystems Merkur. Wegen der enormen Anziehungskraft der Sonne und der begrenzten Transportkapazität der Trägerraketen sind Planetenmissionen ins innere und äussere Sonnensystem nur mit enorm komplexen Flugbahnen zu meistern.

Einmalige Beobachtungsmöglichkeit der Mondvorderseite

"Die Beobachtung des Mondes mit unserem Spektrometer MERTIS an Bord von BepiColombo ist eine einmalige Gelegenheit", freut sich Dr. Jörn Helbert vom DLR-Institut für Planetenforschung, mitverantwortlich für das MERTIS-Instrument. "Wir werden die der Erde zugewandte Mondvorderseite spektroskopisch erstmals in den Wellenlängen des thermalen Infrarot untersuchen. Ohne die störende Erdatmosphäre ergibt die Perspektive aus dem Weltraum einen wertvollen neuen Datensatz für die Mondforschung. Ausserdem ist dies eine hervorragende Gelegenheit zu testen wie gut unser Instrument funktioniert und Erfahrungen zu sammeln für den Betrieb am Merkur." Ein besonderer Praxistest ist auch die aktuelle Situation im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie. "Unser Team wird aus dem Homeoffice das MERTIS-Instrument betreuen und die Daten prozessieren und auswerten" ergänzt Helbert. "Dies wurde in den letzten Tagen schon einige Male getestet und die 'Datenauswertung am Küchentisch' scheint gut zu funktionieren."

MERTIS ist ein bildgebendes Infrarot-Spektrometer und Radiometer mit zwei ungekühlten Strahlungssensoren, die für Wellenlängen zwischen 7 und 14 beziehungsweise 7 und 40 Mikrometern empfindlich sind. Auf dem Merkur wird MERTIS im mittleren Infrarot die gesteinsbildenden Minerale mit einer räumlichen Auflösung von einem halben Kilometer identifizieren. "Eine so detaillierte Auflösung werden wir bei der Beobachtung des Mondes nicht erhalten können", erläutert Gisbert Peter, MERTIS-Projektmanager vom DLR-Institut für Optische Sensorsysteme, das für die Konzeption und den Bau von MERTIS verantwortlich war. "Es ist ja zum Teil ein astronomischer oder geometrischer 'Zufall' und vor allem gute Planung, dass wir am Tag vor dem Vorbeiflug an der Erde den Mond im Gesichtsfeld des Spektrometers haben werden. Und immerhin: MERTIS wird aus Entfernungen zwischen 740'000 und 680'000 Kilometern für vier Stunden den Mond beobachten. Hier wird das mit 3,3 Kilogramm sehr kompakte Instrument das erste Mal im Orbit seine einzigartigen optischen Eigenschaften demonstrieren können." Drei kleine Kameras an der Aussenseite der ESA-Sonde werden zusätzlich Fotos der Erde bei der Annäherung von BepiColombo aufnehmen.

"Der Mond und der gar nicht mal viel grössere Planet Merkur haben Oberflächen, die in vielerlei Hinsicht ähnlich sind", erklärt Prof. Harald Hiesinger von der Universität Münster, wissenschaftlicher Leiter des MERTIS-Experiments. Er freut sich nach Jahrzehnten der Mondforschung ganz besonders auf die jetzt anstehenden Messungen. "Wir bekommen zum einen neue Informationen zu gesteinsbildenden Mineralen und den Temperaturen auf der Mondoberfläche und können die Ergebnisse später mit denen am Merkur vergleichen." Sowohl der Mond als auch der Merkur sind zwei fundamental wichtige Körper für unser Verständnis des gesamten Sonnensystems. Hiesinger ergänzt: Von den Beobachtungen mit MERTIS erhoffe ich viele aufregende Ergebnisse. Nach rund 20 Jahren intensiver Vorbereitungen ist es am Donnerstag endlich soweit - unser langes Warten hat ein Ende und wir erhalten die ersten wissenschaftlichen Daten aus dem Weltraum."

Erst die dritte Raumsonde mit Ziel Merkur

BepiColombo ist am 20. Oktober 2018 an Bord einer Ariane-5-Trägerrakete vom europäischen Weltraumbahnhof Kourou gestartet. Es ist das bisher umfangreichste europäische Projekt zur Erforschung eines Planeten des Sonnensystems.

Die Mission besteht aus zwei Sonden, die den Merkur auf unterschiedlichen Umlaufbahnen umkreisen werden:

dem europäischen Mercury Planetary Orbiter (MPO) der Europäischen Weltraumorganisation ESA und ...

dem japanischen Mercury Magnetospheric Orbiter (MMO).

Zuvor hatten nur die beiden NASA-Raumsonden Mariner 10 Mitte der 1970er Jahre und MESSENGER von 2011 bis 2015 den kleinsten und gleichzeitig sonnennächsten Planeten untersucht.

Während MPO darauf ausgelegt ist, Oberfläche und Zusammensetzung des Planeten zu analysieren, erkundet MMO dessen Magnetosphäre. Weitere Ziele der Mission sind die Erforschung des Sonnenwindes, des inneren Aufbaus und des planetaren Umfeldes von Merkur sowie dessen Wechselwirkungen mit der sonnennahen Umgebung. Die Wissenschaftler erhoffen sich darüber hinaus Erkenntnisse zur Entstehung des gesamten Sonnensystems und der erdähnlichen Planeten im Besonderen. Bis zum Erreichen der Merkurumlaufbahn befinden sich die beiden Sonden an Bord des Mercury Composite Spacecraft (MCS), das die Orbiter mit Energie versorgt und sie mit Hilfe eines speziellen Schutzschildes, der MMO Sunshield and Interface Structure (MOSIF), vor den extremen Temperaturen zwischen 430 Grad Celsius auf der Tagseite und minus 180 Grad Celsius auf der Nachtseite des Merkurs schützt. Nach sechs Vorbeiflügen an seinem Ziel wird BepiColombo am 5. Dezember 2025 schliesslich in eine Merkurumlaufbahn gelangen.

Jonglieren mit Geschwindigkeit und Gravitation

Flyby-Manöver, auch 'Gravity-Assist-Manöver' genannt, sind heute in der Raumfahrt zur Routine geworden. Sie dienen dazu, ohne den Einsatz von Treibstoff und unter Ausnutzung der Anziehungskraft von Planeten eine Änderung der Flugrichtung und Geschwindigkeit von Raumsonden zu bewirken. Wenn Raumsonden das Schwerefeld der Erde verlassen und ein fernes Ziel im Sonnensystem erreichen sollen, ist für die Beschleunigung, für Richtungsänderungen, aber auch für das Abbremsen am Ziel viel Energie erforderlich. Diese in Form von Treibstoff für Raketentriebwerke mitzuführen ist oft unwirtschaftlich und würde zwangsläufig den Umfang von mitgeführter Nutzlast verringern oder ist technisch schlicht unmöglich.

Nahvorbeiflüge an Planeten eröffnen eine elegante technische Lösung - durch die Kräfte der Natur: Bewegt sich eine Raumsonde auf einen Planeten zu, überwiegt ab einer bestimmten Entfernung dessen Anziehungskraft gegenüber der ansonsten alle Bewegungen beeinflussenden Sonne. Ein Flyby ist dann gewissermassen das Jonglieren von zwei Energieformen - der Bewegungsenergie der Raumsonde und der Lageenergie des Planeten, der mit seiner um ein Vielfaches grösseren Masse das kleine Raumschiff anzieht, wenn es in seine Nähe kommt. Bei diesem Jonglieren kann, je nachdem, wie schnell die Raumsonde ist und wie nahe sie dem Planeten kommt, Energie vom Planeten auf die Sonde übergehen: Dann wird sie schneller (und der Planet unmerklich langsamer). Oder aber Bewegungsenergie wird von der Sonde auf den Planeten übertragen, was diese abbremst (und den Planeten dafür unmerklich beschleunigt). Gegenüber dem Planeten ändert sich beim Flyby die Geschwindigkeit der Sonde vorher/nachher nicht, es wird nur deren Flugbahn um einen gewissen Winkel umgelenkt. Da sich aber der Planet auf einer Bahn um die Sonne befindet, bewirkt diese Winkeländerung der Sondenbahn eine Beschleunigung oder Abbremsung der Sonde (und minimal des Planeten) auf ihrer Bahn um die Sonne.

Die raffinierte Flugbahn-Lösung des Giuseppe 'Bepi' Colombo

Zum ersten Mal wurden Flyby-Manöver entlang einer Planetenbahn bei der Mission Mariner 10 angewandt, um nach dem ersten Vorbeiflug am Planeten Merkur noch zwei weitere Nahvorbeiflüge zu ermöglichen. Die Berechnungen stellte der italienische Ingenieur und Mathematiker Giuseppe 'Bepi' Colombo an. Colombo, Professor an der Universität seiner Heimatstadt Padua, war 1970 zu einer Konferenz zur Vorbereitung der Mariner-10-Mission an das Jet Propulsion Laboratory der NASA ins kalifornische Pasadena eingeladen. Dort sah er den ursprünglichen Missionsplan und erkannte, dass mit einem hoch präzise ausgeführten ersten Vorbeiflug zwei weitere Nahvorbeiflüge am Merkur möglich waren: Ihm zu Ehren wurde die nun fliegende grosse europäisch-japanische Merkur-Mission benannt.

Von den 15 Instrumenten, die sich an Bord der beiden Raumsonden befinden, wurden drei zu wesentlichen Anteilen in Deutschland entwickelt: BELA (BepiColombo Laser Altimeter), MPO-MAG (MPO Magnetometer) und MERTIS. Das DLR-Laserexperiment BELA wird erst an seinem Ziel, dem Merkur, eingesetzt werden. Das Magnetometer hingegen kommt beim Flug durch das weit ins All reichende Magnetfeld der Erde bereits jetzt für Messungen zum Einsatz. Gefördert vom DLR-Raumfahrtmanagement wurde es am Institut für Geophysik und Extraterrestrische Physik der Technischen Universität Braunschweig in Zusammenarbeit mit dem Weltrauminstitut Graz und dem Imperial College London entwickelt und gebaut.

Die letzte Gelegenheit, 'Bepi' zu beobachten - aber nicht in Deutschland

Raumfahrtenthusiasten sind natürlich an der Frage interessiert, ob sie Gelegenheit haben, BepiColombo vor seinem Abschied auf dem Weg ins innere Sonnensystem während des Flybys ein letztes Mal am Himmel beobachten zu können: Die Frage kann tatsächlich mit Ja beantwortet werden. Der Wermutstropfen ist allerdings die Einschränkung, dass dies nur südlich von 30 Grad Nord über dem Atlantik, in Südamerika, in Mexiko und mit Einschränkungen über Texas und Kalifornien möglich sein wird. Mit am besten sichtbar werden die vom Sonnenlicht angestrahlten Solarpanele vermutlich über der Europäischen Südsternwarte in der klaren Luft der Anden Chiles sein. In Mitteleuropa bleibt der Trost, dass es in der Nacht vom 7. auf den 8. April 2020 einen ausserordentlich grossen Vollmond, populär gerne als 'Supermond' bezeichnet, zu sehen geben wird.

Quelle: Text: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR, April 2020
Flyby
Das Flyby-Manöver, auch 'Gravity-Assist-Manöver' genannt. Die Missionsingenieure wenden die Swing-by-Technik an, welche die Gravitationskräfte der angeflogenen Planeten zum Beschleunigen und  für Richtungsänderungen  der Sonde benutzen. Die Flugplanung ist nur mit genauen Detailkenntnissen über die angesteuerten Planeten und mit Rechenmodellen möglich, welche in modernsten Grosscomputern verarbeitet wurden.  

Bei Swing-By-Manövern nutzt das Raumfahrzeug die Anziehungskraft der Himmelskörper, um Geschwindigkeit für den weiteren Weg durchs All aufzunehmen, oder aber auch, um abzubremsen.

Voyager 1 und 2 schrieben Raumfahrtsgeschichte

Flyby
Die 1977 gestartete «Voyager 1»-Sonde hat 2005 die Grenzen des Sonnensystems erreicht. Auf ihrem Weg durch den Weltraum hat die Sonde mehrfach durch Flyby-Manöver mehr Geschwindigkeit erhalten.
Raumsonden «Voyager 1» und «Voyager 2»
künftiges Planetensystem der Sonne

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