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Gesellschaft, Gesundheit u. Soziales
Städteinitiative Sozialpolitik: Sozialhilfe 2008
Anschluss schaffen statt Armut vererben
Von Edith Olibet, Direktorin für Bildung, Soziales und Sport der Stadt Bern

Der Kennzahlenbericht 2008 und der Kennzahlenvergleich über die letzten zehn Jahre zeigen: Die Sozialhilfequote der unter 18-Jährigen liegt in den meisten Städten weit über der durchschnittlichen Sozialhilfequote. Wer in eine bildungsferne, einkommensschwache Familie geboren wird, erbt oft lebenslängliche Armut, oder zumindest ein grosses Armutsrisiko für das Erwachsenenalter. Auch Alleinerziehende tragen ein überdurchschnittliches Armutsrisiko. Die Städteinitiative Sozialpolitik will für die betroffenen Kinder und Jugendlichen den Anschluss schaffen und damit zukünftig die Vererbung von Armut verringern.

Wer die Zusammensetzung der Menschen betrachtet, die auf Sozialhilfeleistungen angewiesen sind, stellt schnell fest: Alleinerziehende und Kinder und Jugendliche tragen das grösste Armutsrisiko. Dies zeigt die Langzeitbetrachtung über die letzten zehn Jahre eindrücklich.

Die Unterstützungsquote bei Alleinerziehenden liegt seit mehreren Jahren weit über dem Durchschnitt der Bevölkerung. In den grossen Städten muss rund ein Fünftel aller Alleinerziehenden-Haushalte von der Sozialhilfe unterstützt werden. Sie haben ein rund vier bis fünf Mal grösseres Unterstützungsrisiko.

Besorgniserregend hoch ist der Anteil der Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren in der Sozialhilfe. 2008 betrug dieser in den Kennzahlenstädten zwischen 28 und rund 35 Prozent. Mit Ausnahme von zwei Städten hat er gegenüber dem Vorjahr noch einmal zugenommen. Die Sozialhilfequote dieser Altersgruppe ist in den meisten Städten mehr als doppelt so hoch im Vergleich mit der durchschnittlichen Sozialhilfequote. Das ist unhaltbar.

Aus zahlreichen Untersuchungen und aus der Sozialhilfe geht hervor: Wer als Kind in Armut gelebt hat, trägt ein hohes Risiko, auch als erwachsener Mensch arm zu sein. Die soziale Herkunft entscheidet in hohem Masse darüber, ob ein Kind die Schule mit Erfolg absolvieren, eine Weitere Schule, eine Lehrstelle und später einen Arbeitsplatz mit einem ausreichenden Lohn finden kann.

Warum ist das so?

Arme Kinder erhalten zu Hause zum Teil zu wenig Förderung, weil die Eltern dafür oft selbst keine Kraft oder Zeit haben oder weil sie nicht wissen, welch hohen Stellenwert die Förderung und Unterstützung für die Entwicklung der kleinen Kinder hat. Arme Familien und ihre Kinder sind oft nicht in soziale Strukturen eingebunden und leben isoliert. Erst recht, wenn sprachliche Barrieren dazukommen und z.B. das Spielen mit anderen Kindern erschweren.

Auch die Schule kann - trotz vielfältiger Bemühungen - die ungleichen Bildungschancen nicht oder nur ungenügend ausgleichen. Das wirkt sich auf die nächste Lebensphase aus, wenn es um die Berufsbildung geht. Junge Erwachsene aus einem bildungsfernen Milieu haben teilweise grosse Schwierigkeiten, eine Lehrstelle zu finden oder eine Weitere Schule zu besuchen. Für jene mit wenig schulischen Qualifikationen ist es noch schwieriger. Bekannt ist: Fehlende oder ungenügende Bildung ist das Armutsrisiko Nummer 1.

Armut wirkt sich auch auf die Gesundheit aus. Armutsbetroffene Kinder leiden häufiger unter verschiedenen körperlichen, psychischen und psychosomatischen Beschwerden. Armut und eine schlechte Gesundheit sind - gemäss verschiedener Untersuchungen - eng miteinander verbunden. Gesundheit ist auch eine soziale Frage, eine Frage des Verhaltens und der Verhältnisse, in der Kinder aufwachsen.

Ausgegrenzt sein, wenig Förderung, Bildungsbenachteiligung und beeinträchtigte gesundheitliche Entwicklung: Das ergibt schlechte Zukunftsperspektiven für die betroffenen Kinder. Je länger es die Politik versäumt, Kinderarmut und die Vererbung von Armut zu stoppen, umso höher sind nicht nur die individuellen, sondern auch die gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Kosten. Das kann sich die Schweiz, können und wollen sich die Städte nicht länger leisten. Wir haben die Pflicht und die Verantwortung, alles zu tun, damit unsere Gesellschaft sozialer und gerechter wird. Wir müssen die Armut bekämpfen, nicht die Armen.

Aus Sicht der Städteinitiative Sozialpolitik sind insbesondere in den folgenden vier Bereichen Investitionen notwendig. Sie erachtet diese zur Bekämpfung der Kinderarmut als hoch wirksam und damit nachhaltig:

1. Ergänzungsleistungen für armutsbetroffene Familien

Die Altersarmut konnte mit den Altersversicherungen und den Ergänzungsleistungen grösstenteils beseitigt werden. Das System hat sich bewährt. Dieses bewährte System ist auf armutsbetroffene Familien zu übertragen - zum Wohle und im Interesse der Kinder. Mit Ergänzungsleistungen für Familien ohne existenzsicherndes Einkommen kann Armut wirksam vermieden werden. Womit der Tessin seit Jahren gute Erfahrungen macht, was der Kanton Solothurn dank der erfolgreichen Abstimmung einführen wird, ist auch für den Rest der Schweiz nötig. Kinder- und Familienarmut, das Armutsrisiko Alleinerziehender lassen sich damit wirksam und schnell reduzieren - mit einem kleinen Verwaltungsaufwand.

2. Förderung und Bildung im Vorschulalter

Wer vorausschauend handelt, investiert im Vorschulalter. Die ersten Lebensjahre sind wegweisend für die Entwicklung der Kinder. Mit Früherkennung und Frühintervention sind Familien zu stärken, so können spätere Kosten vermieden werden. Es gilt, die Eltern sozial benachteiligter Kinder bei der Erziehung zu unterstützen, ihre kleinen Kinder in ihrer sozialen, sprachlichen, kognitiven und motorischen Entwicklung zu fördern. In vielen Städten der Schweiz sind Projekte angelaufen. Die Städteinitiative Sozialpolitik fordert den flächendeckenden und zielgruppenbezogenen Ausbau von Frühförderungsmassnahmen.

Familienergänzende Kinderbetreuungsangebote sind bedarfsgerecht auszubauen. Einerseits um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sicherzustellen. Andererseits um die Kinder zu fördern und zu bilden. Die Städteinitiative begrüsst die Verlängerung der Anschubfinanzierung des Bundes.

Die Städteinitiative Sozialpolitik erachtet diese Aufgabe als Verbundaufgabe aller drei Staatsebenen.

3. Mehr Chancengleichheit in den Volksschulen

Die öffentliche Schule ist der wichtigste Ort, wo Integration stattfindet und gefördert werden kann. Durch geeignete Massnahmen ist sicherzustellen, dass alle Kinder und Jugendlichen umfassend gefördert und gefordert werden, damit sie tatsächlich gleiche schulische Chancen erhalten. Wir fordern zudem Gesundheitsprävention in den Schulen, die flächendeckende Einrichtung von Tagesschulen und den bedarfsgerechten Ausbau der Schulsozialarbeit. Die Städteinitiative Sozialpolitik unterstützt die interkantonale Vereinbarung über die Harmonisierung der obligatorischen Schulde der EKD, das HarmoS-Konkordat.

4. Kein Abschluss ohne Anschluss

Kein Abschluss ohne Anschluss. Das war und ist die Devise der Städteinitiative Sozialpolitik. Dank der guten Arbeitsmarktlage in den letzten Jahren und den spezifischen Arbeitsintegrationsmassnahmen konnte die Jugendarbeitslosigkeit reduziert werden, wie der Kennzahlenbericht zeigt. Weiterhin ist ein besonderes Augenmerk auf eine genügende Zahl an Lehr- und Praktikumsstellen zu richten. esonders für schwächere Schülerinnen und Schüler braucht es zusätzliche Ausbildungsmöglichkeiten. Das 3. Konjunkturpaket des Bundes, ergänzt mit Geldern von Kantonen und Gemeinden, sowie die enge Zusammenarbeit von Schulen und Wirtschaft, Sozialem und Wirtschaft sind gerade bei den heutigen schlechten Wirtschaftsaussichten wichtige Bausteine, um jungen Menschen eine Zukunftsperspektive zu geben und ein Leben ohne Sozialhilfe zu ermöglichen.

Fazit

Die Städteinitiative ist überzeugt, dass mit Investitionen in die junge Generation und die Familien der Teufelskreis der Armut durchbrochen werden kann. Sie appelliert an alle Verantwortungsträgerinnen und -träger, sie bei ihren Bemühungen zu unterstützen und ihren Teil dazu beizutragen. Politik und Wirtschaft müssen am gleichen Strick ziehen und die erforderlichen Investitionen in die Zukunft tätigen. Ursachen bekämpfen, um spätere Reparaturmassnahmen zu erübrigen. Oder um es mit den Worten von Kindern einer Kleinklasse aus Urtenen Schönbühl zum Thema Armut zu sagen: "Es darf nicht sein, dass so viele Familien in der Schweiz arm und ausgeschlossen sind.">

Quelle: Text Städteinitiative Sozialpolitik, Juli 2009

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