Erdbeben sind Bruchvorgänge in der Erdkruste als Folge von überhöhten Spannungen im Gestein. Hervorgerufen werden die Spannungen durch langsame unterschiedliche Bewegungen im Erdinneren. Werden die Spannungen so gross, dass die Festigkeit des Gesteins, meist entlang schon existierender Störungen, überschritten wird, dann kommt es zu einem räumlich mehr oder weniger ausgedehnten Bruch. Wenn dieser Vorgang in bestimmten Zeitabständen immer wieder auftritt, dann spricht man von einem seismisch aktiven Bruch oder Verwerfung. Geologische Untersuchungen und instrumentelle Beobachtungen an bekannten Bruchsystemen (z.B. San Andreas Bruch (Verwerfung)an der Westküste der USA) haben gezeigt, dass Spannungen in der Erdkruste sowohl durch plötzlich auftretende Erdbeben als auch durch langsames, stetiges Kriechen wieder abgebaut werden können. Die Zahl und Stärke von Erdbeben in einem Gebiet hängt wesentlich davon ab, wie schnell der Spannungsaufbau und -abbau vor sich geht. In Zentraleuropa sind schwere Erdbeben mit entsprechend grossen Verschiebungen selten, da die hierzu notwendigen aktiven Verwerfungen weitgehend fehlen.
Die genaue Bestimmung des Ursprungs und der weltweiten Verteilung von Erdbebenherden mit Hilfe äusserst empfindlicher Seismographen hat ganz wesentlich zum Verständnis von Erdbeben beigetragen. Einmal bezeichnet die Position der Epizentren immer deutlich die Umrandungen der Erdkrustenplatten (Kontinentalplatte), zum andern kann man aus der typischen Anordnung der Erdbebenherde auf abtauchende Platten schliessen. Entlang von solchen Subduktionszonen treten Erdbeben bis zu einer Tiefe von 700 km auf. Derartige Zonen finden sich zum Beispiel an den Pazifikküsten von Südamerika, Japan und im östlichen Mittelmeer. Bei allen anderen Plattengrenzen werden Erdbeben nur bis etwa 40 oder 50 km Tiefe beobachtet, da in grösserer Tiefe das Erdmaterial fliessfähig wird. Weltweit
finden über 90 Prozent aller Erdbeben im so genannten zirkumpazifischen Feuergürtel rund um den Pazifik
statt, in dem sehr oft auch vulkanische Aktivität zu beobachten ist.
Die dominierenden Erdbebengebiete in Europa liegen überwiegend im
Mittelmeerraum, in der Kollisionszone zwischen der afrikanischen und eurasischen
Platte. Dazu zählen vor allem die nordafrikanische Küstenzone,
der italienische Stiefel einschliesslich Sizilien, der südliche Teil
der Alpen, der Balkan und die Türkei.
Die Schweiz, das Fürstentum Liechtenstein und das Bundesland Vorarlberg liegen gerade am nördlichen Ende des adriatischen Sporns.
Nördlich der Alpen sind häufig Erdbeben zu beobachten, die im Zusammenhang mit dem Rheingraben stehen.
Im Rheingraben nördlich von Basel sinkt die Erdkruste zwischen dem Schwarzwald und den Vogesen grossflächig ab. Der Rheingraben gehört zu einer ganzen Serie von ähnlichen Grabensystemen, die sich, mit Unterbrechungen, von Skandinavien bis nach Ostafrika verfolgen lassen.
Bei
oberflächlicher Betrachtung sieht es so aus, als ob die Zahl der starken
Erdbeben in den letzten Jahren zugenommen hatte. Dieser Eindruck täuscht
aber. In den vergangenen 100 Jahren blieb die weltweit registrierte Anzahl
von sehr starken Erdbeben ziemlich konstant. Was sich jedoch seit Ende
des 19. Jahrhundert geändert hat, ist die Bevölkerungsdichte
und damit die Wertkonzentration insbesondere in den erdbebengefährdeten
Zonen. In der Folge haben das Schadenausmass eines starken Erdbebens und
damit die öffentliche Wahrnehmung eines derartigen Erdbebens sprunghaft
zugenommen.
Bei schwächeren Erdbeben können in bestimmten Regionen änderungen in deren Häufigkeit beobachtet werden. Historische Erdbebenkataloge belegen zum Beispiel für die Schweiz vor allem an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert eine Häufung von Erdbeben. Durch langjährige Untersuchungen hat man ein universelles Naturgesetz entdeckt: Es gibt sehr viel mehr kleine als grosse Erdbeben, wobei sich das Verhältnis mit einer einfachen mathematischen Beziehung beschreiben lässt. Mit Hilfe von zuverlässigen Erdbebenkatalogen ist es daher prinzipiell möglich, aus der Anzahl tatsächlich registrierter schwacher Erdbeben auf die Wahrscheinlichkeit eines stärkeren Erdbebens in diesem Gebiet zu schliessen. Natürlich bleibt dies immer eine statistische Aussage und darf auf keinem Fall verwechselt werden mit einer, bisher noch nicht realisierbaren, zuverlässigen Erdbebenvorhersage. Im Vergleich zu früheren Zeitperioden sind in den letzten 30 bis 50 Jahren in der Schweiz wenig starke Erdbeben aufgetreten. Die Geschichte lehrt uns, dass dies eine trügerische Ruhe ist. Starke und schwere Erdbeben sind in der Vergangenheit auch in der Schweiz aufgetreten. Wir müssen daher auch in der Schweiz mit Erdbebenkatastrophen rechnen.
Der Ort an der Erdoberfläche, senkrecht über dem Erdbebenherd, wird als Epizentrum bezeichnet. Im Epizentrum starker Erdbeben sind meist auch die grössten Schäden zu verzeichnen. Der Erdbebenherd kann nur theoretisch als punktförmige Quelle angesehen werden, denn in Wirklichkeit besitzt er immer eine flächenhafte Ausdehnung, die von etwa zehn Metern für ein Erdbeben der Magnitude 3 bis zu mehreren hundert Kilometern für ein Erdbeben der Magnitude 9 reicht. Seit etwa 1935 wird die Stärke eines Erdbebens mit Hilfe der Magnituden-Skala, auch Richterskala genannt, angegeben. Die Magnitude ist ein logarithmisches Mass für die im Erdbebenherd freigesetzte Energie und wird mittels instrumenteller Aufzeichnungen berechnet. Die bei Erdbeben freigesetzten Energien umfassen einen sehr grossen Bereich. Da eine Magnitudenstufe etwa einer änderung der Energie um den Faktor 32 entspricht, wird bei einem so genannten Weltbeben der Magnitude 8 ungefähr eine Million mal mehr (seismische) Energie freigesetzt als bei einem leichten, jedoch spürbaren Erdbeben der Magnitude 4. Es ist daher auch sofort einsehbar, dass selbst eine grössere Anzahl von kleinen Erdbeben nicht die Rolle eines einzigen starken Erdbebens beim Spannungsabbau in der Erdkruste ersetzen und so dieses verhindern kann. Mit Hilfe der zwölfstufigen Intensitäts-Skala (Mercalli-Sieberg-Skala)werden die Auswirkungen eines Erdbebens auf Mensch, Bauten und Umwelt klassifiziert. Im Gegensatz zur Magnitude wird die Intensität mit römischen Ziffern angegeben.
In der Schweiz werden jedes Jahr 200 bis 300 Erdbeben registriert. Diese Erdbeben werden von der Bevölkerung mehrheitlich nicht verspürt.
Interessanterweise ist die geographische Verteilung der stärkeren historischen und der schwächeren gemessenen Erdbeben sehr ähnlich. Bestehende Schwächezonen in der Erdkruste, die sich durch kleine aber häufige Erdbeben relativ leicht feststellen lassen, sind daher die Entstehungsorte für zukünftige starke Erdbeben. Einige Regionen, darunter das Mittel- und Oberwallis, die Region Basel, die Zentralschweiz, das St. Galler Rheintal und das Engadin weisen eine erhöhte Erdbeben-Aktivität und damit eine signifikante Gefährdung durch Erdbeben auf. Im schweizerischen Vergleich weist das St. Galler Rheintal und damit der Einsatzraum für die Übung "RHEINTAL 06" eine mittlere Erdbeben-Gefährdung auf. Im internationalen Vergleich ist diese Erdbeben-Gefährdung jedoch eher als gering einzustufen. Am 8. Mai 1992 um 08:44 MESZ trat bei Buchs ein Erdbeben der Stärke 4,7 auf. Die Bodenerschütterungen führten in der Region Gams-Grabs zu einer zeitweiligen Trübung des Quellwassers. Durch das Erdbeben bildeten sich in den zahlreichen Wänden des Schloss Vaduz Risse, die kostspielige Reparaturen erforderten. In den folgenden Wochen registrierte der Schweizerische Erdbebendienst zahlreiche schwache Erdbeben, die von der Bevölkerung in Buchs und Umgebung teilweise verspürt wurden. Die Erdbeben-Geschichte der Schweiz weist in grösseren Zeitabständen Schadenbeben auf. So wurden zum Beispiel im vergangenen Jahrhundert in der Schweiz neun Schadenbeben mit Intensität VII (Mercalli-Sieberg-Skala) und grösser registriert. Die Intensität VII entspricht etwa der Stärke 5 auf der Richter-Skala. Interessante Informationen über historische Erdbeben sind meist in Stadt- und Kirchenchroniken zu finden, in denen die Schäden und Auswirkungen sehr anschaulich, aber oft nicht sehr objektiv, beschrieben werden. Das in zahlreichen Chroniken erwähnte Erdbeben von Basel vom 18. Oktober 1356 war das stärkste jemals nördlich der Alpen aufgetretene Ereignis dieser Art. Im Ratsbuch von Basel wird dieses Ereignis folgendermassen beschrieben (Originalzitat): "Man sol wissen, dass dise Stat von dem Erdpidem zerstöret und zerbrochen wart, und beleib anhein Kilche, Turne noch steinin Huss, weder in der Stat noch in den Vorstetten ganz, und wurdent grösselich zerstöret." Das in der Folge ausgebrochene Feuer wütete etwa eine Woche lang in der Stadt und vergrösserte den Schaden beträchtlich. Während der Übung "RHEINTAL 06" wird sich das Basler Erdbeben von 1356 zum 650-mal jähren. Im statistischen Langzeitmittel muss in der Schweiz etwa alle 8 bis 10 Jahre mit einem Erdbeben der Stärke 5, etwa alle 100 Jahre mit einem Erdbeben der Stärke 6 auf der Richter-Skala gerechnet werden. Erdbeben in der Grössenordnung des Erdbebens von Basel vom 18. Oktober 1356 haben eine statistische Wiederkehrperiode von 700 bis 1'000 Jahren. Zum Vergleich: Die Wiederkehrperiode der Hochwasserkatastrophe vom August 2005 wird von SwissRe mit 43 Jahren beziffert. Mit anderen Worten: Statistisch gesehen müssen wir innerhalb von hundert Jahren mit zwei Hochwasserkatastrophen und einer Erdbebenkatastrophe wie diejenige rechnen, welche der Übung "RHEINTAL 06" zugrunde gelegt ist.
Das Risiko eines Schadens wird wesentlich auch durch die Qualität der Bausubstanz und die Dichte der Besiedlung und Industrialisierung bestimmt. Bezieht man diese Faktoren in eine Beurteilung mit ein, ergibt sich ein beträchtliches Schadenspotenzial durch Erdbeben in der Schweiz, das volkswirtschaftlich keinesfalls vernachlässigt werden kann. Würde sich zum Beispiel das Erdbeben von Baselvom 18. Oktober 1356 heute ereignen, wären rund 2'000 Todesopfer und 7'000 Schwerverletzte und Verschüttete zu beklagen. Rund 20% der Gebäude in der Stadt Basel würden unbewohnbar oder gar zerstört werden. Die Versicherungen beziffern die Gebäudeschäden auf rund 45 Milliarden Franken. Gemeinsam mit den Mobiliarschäden (15 Milliarden Franken), Infrastrukturschäden (5-10 Milliarden Franken) sowie den durch Betriebsunterbrüche verursachten Kosten (10-15 Milliarden Franken) käme man auf einen Gesamtschaden von rund 80 Milliarden Franken. Diese Summe entspricht knapp 20% des Bruttoinlandproduktes der Schweiz von 2002. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass rund 34% des nationalen Katastrophenrisikos durch Erdbeben verursacht werden. Zum Vergleich: Der Anteil von Hochwasserkatastrophen am gesamten Katastrophenrisiko in der Schweiz beträgt rund 10%.
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