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Die NEAT
Visionäres Infrastrukturprojekt für eine nachhaltige Verkehrspolitik
Rede von Moritz Leuenberger am Hafenfest vom 9. Mai 2009 in Hamburg
Da stehe ich als Landratte auf einem Hochseeschiff. Hier an der Mündung zur offenen See vertrete ich ein Binnenland, das zudem nicht einmal in der EU ist und also auch keinen indirekten Meeranschluss hat. Nicht einmal ein Fluss, der aus unseren Alpen in die Elbe flösse. Hamburg und die Schweiz, ein Land und eine Stadt, eine Trutzburg und eine Hafenstadt, gibt es ein grösseres Gegensatzpaar?

Zwar sind der Schweiz die fundamentalen Regeln der Seeschifffahrt auch nicht unbekannt. Auch wir wissen, wie man sich nach dem Wind dreht, auch wir kennen kühne Wendemanöver. Wir wissen, was ein Wellental ist und was es bedeutet, wenn uns eine steife Brise von der OECD und der EU ins Gesicht bläst.

Und Hamburger wissen ja umgekehrt, was es heisst, hohe Gipfel zu erklimmen, denn in Hamburg gibt es den grössten Alpenclub Deutschlands. Aber trennen uns nicht dennoch Welten?

In den letzten Wochen ergründeten Schriftsteller, Journalisten und Politiker fundamentale Unterschiede zwischen Deutschen und Schweizern. Man hätte zuweilen meinen können, wir entstammten verschiedenen Planeten.

Doch wenn wir etwas näher hinsehen, gibt es zwischen der Schweiz und Hamburg erstaunlich viele Gemeinsamkeiten.

Die Hanse ist ein genossenschaftlicher Zusammenschluss von Kaufleuten. Wir Schweizer legen heute noch Wert auf unsere Staatsform, die Eidgenossenschaft. Hamburg bewahrte seine Unabhängigkeit beinahe so lange wie wir, die wir spät der UNO beitraten (und der EU immer noch nicht beigetreten sind). Der genossenschaftliche Gedanke und der Drang nach Unabhängigkeit sind, was uns Nachbarn im Innersten zusammenhalten.

Hamburg und die Schweiz sind in diesem Sinne Nachbarn, ganz in der ursprünglichen Bedeutung des Wortes: zwei Bauern, die nahe von einander ihre Felder bestellen und ihre Gewässer nutzen, kulturelle Traditionen pflegen und miteinander Handel treiben.

Wir importieren und exportieren aber nicht nur Güter, sondern auch unsere besten Fachkräfte. Norddeutsche Ärzte und Professoren zieht es nach Basel und Zürich, umgekehrt lassen sich Schweizer Strafraumexperten wie Mladen Petric in Hamburg nieder und sorgen dafür, dass der HSV endlich wieder den Gipfel der Bundesliga erstürmt.

So begegnen wir uns immer wieder, denn Nachbarn wollen sich austauschen und sich ihre Verbundenheit bekunden. Ich freue mich, dass Sie uns eingeladen haben.

Nachbarn pflegen gegenseitig auch gewisse Vorurteile und Clichés. Das schadet ihrer Beziehung nicht, ganz im Gegenteil. Doch wenn sie sich besuchen, können sie wieder einiges richtig stellen. Ich will nicht zu Heidi, der Patrouille Suisse oder zu Käsefondue und Alphörnern sprechen. Alle diese Symbole der Schweiz sind bei Ihnen zu Gast und können sich selber vorstellen. Sie wurden von Ihnen eingeladen.

Das Bankgeheimnis haben Sie nicht eingeladen. Es hätte ja auch nicht gut erscheinen können, denn es ist ja geheim. Doch auch wenn es nicht hierher gekommen ist, so hat es sich doch bewegt, es hat sich entwickelt und ist auf einem guten Weg. In seinem Namen sage ich Ihnen gerne:

Wir sind alle von der Finanzkrise betroffen und alle demokratischen Staaten haben ein legitimes Interesse, mit ihren Gesetzen und ihren Mitteln die eigenen Infrastrukturen zu bauen, zu erweitern und zu unterhalten, seien es Schulen und Krankenhäuser, seien es Eisenbahntunnel und Seehäfen. Denn genau diese Infrastrukturen verbinden uns ja auch. Goethe wusste es schon: ,Mir ist nicht bange, dass Deutschland eins werde; unsere Eisenbahnen werden schon das ihrige dazu tun." Und Mitterrand prophezeite: ,Europa entsteht durch seine Infrastrukturen."

Und so ist es auch: Im Hamburger Hafen werden jährlich 150 000 Tonnen Transitgüter für die Schweiz umgeschlagen und wir bauen durch die Alpen den längsten Eisenbahntunnel der Welt, um Güter von der Nordsee zum Mittelmeer zu transportieren. Es freut mich besonders, dass auch das Jahrhundertprojekt NEAT am Hamburger Hafenfest zu Gast ist.

Um solche Projekte zu verwirklichen, brauchen wir beide die Arbeit und den Einsatz unserer Bürger, welche eben solche Infrastrukturen verlangen - in der direkten Demokratie mit Referenden und Initiativen, in der repräsentativen Demokratie via Bürgerschaft und Senat. Deswegen benötigen wir alle auch die finanzielle Unterstützung aller Bürger und Bürgerinnen, die im Lande wohnen und die eben diese Infrastrukturen benutzen. Deswegen bedarf es auch der Solidarität zwischen den Staaten. Solidarität unter Nachbarn bedeutet, dass sie sich das Wasser nicht gegenseitig abgraben und keine Früchte aus dem Garten des anderen pflücken.

Zu dieser Erkenntnis müssen wir uns nicht gegenseitig anpeitschen, denn wir wissen, was genossenschaftliche Verbundenheit ist. Manchmal brauchen wir etwas Zeit, diese Grundsätze wieder neu festzulegen, doch Nachbarn wissen, dass sie sich finden müssen.

Wir sind alle voneinander abhängig, auch in der anderen grossen Krise, der Umweltkrise.

Stossen die grossen Ozeanfrachter CO2 aus ihren riesigen Kaminen, schmelzen Permafrost und Gletscher. Das lässt den Meeresspiegel ansteigen und das wiederum kann Hafenstädte betreffen, weil Salzwasser in die Flüsse dringt und weil Hochwasser die Küstengebiete bedrohen.

Die Staatengemeinschaft muss an der Klimakonferenz in Kopenhagen verbindliche Massnahmen gegen die Klimaerwärmung beschliessen, denn diese bedroht uns alle.

Ob Binnenländer, ob Küstenstaaten - wir müssen und wollen alle unseren Beitrag leisten. Dazu ist es höchste Eisenbahn.

Die Wasserstadt Hamburg mit ihren tausend Brücken, das Eisenbahnland Schweiz mit seinen tausend Tunneln: Wir sind Nachbarn und bringen es aufs rechte Gleis. Denn wir sitzen alle im selben Boot.

Quelle: Text UVEK Mai 2009

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