Südamerika kämpft gegen Tigermücken, die Gelbfieber, Denguefieber und das Zika-Virus übertragen.
Wenn Prof. Marc F. Schetelig Besucher durch seine Labors an der Justus-Liebig-Universität Giessen und am Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und angewandte Oekologie IME in Giessen führt, öffnet er auch die Tür zur 27-Grad-Klimakammer, in der Tausende von Tigermücken (Aedes aegypti) in Netzkäfigen leben. «Die Weibchen müssen wir mit 37 Grad warmem Rinder- oder Schweineblut direkt vom Schlachter füttern, damit sie Eier legen», erklärt der Biologe. «Die Eier geben wir dann in Wasserschalen, wo die Larven schlüpfen und sich verpuppen.» Schetelig ist Experte für die Sterile Insektentechnik, kurz SIT, die durch massenhafte Freisetzung steriler Männchen die Population von Schadinsekten dezimier . Mit seiner Forschungsgruppe, die zu dem vom Land Hessen geförderten LOEWE Zentrum für Insektenbiotechnologie & Bioressourcen gehört, entwickelt er Methoden, die die Effektivität der Sterilen Insektentechnik steigern und einen Transfer der Technik auf weitere Schädlinge zulassen. Genetische Schalter ein- und ausschalten
Schetelig hat ein genetisches System konstruiert. Es bewirkt, dass die Nachkommen der Fliegen bereits im Embryonalstadium sterben. Wenn sich männliche Fliegen, die dieses System tragen, mit den natürlich vorkommenden Weibchen paaren, schlüpfen aus den befruchteten Eiern keine Larven. Das genetische System enthält aber auch einen Schalter, mit dem sich das Programm ausschalten lässt. Dieser Schalter kann durch Füttern des Antibiotikums Tetrazyklin umgelegt werden. Durch Tetrazyklin-haltiges Futter lässt sich der Fliegenstamm im Labor züchten und weiter vermehren. « Die neu entwickelten Systeme haben im Gegensatz zu anderen verfügbaren genetischen Systemen den Vorteil, dass kein Antibiotikum für die Larven benötigt wird und man nur geringe Mengen für die erwachsenen Fliegen verwenden muss. Somit gelangt kein Antibiotikum in die Umwelt», sagt Schetelig. Zur Erleichterung der Massenzucht verankert die Forschergruppe ein weiteres genetisches System im Erbgut. Es kann bewirken, dass alle Weibchen bereits im Embryonalstadium absterben. »Mit diesem Sexing-System können wir die Effektivität der Massenzucht deutlich steigern, da wir nur Männchen grossziehen«, erklärt Schetelig. Bei den meisten bisher üblichen Zuchtmethoden müssen die Weibchen vor der Massenfreisetzung teilweise manuell aussortiert werden. Eindämmung von Dengue- und Zikavirus als Ziel Zurzeit implementiert das Team die bei der Kirschessigfliege entwickelten genetischen Systeme in Tigermücken, um sie mit der Sterilen Insektentechnik bekämpfen zu können. Denn die Tigermücken können eine ganze Reihe gefährlicher Viren übertragen. Dazu gehören neben dem Dengue- und Zika- auch das Gelbfieber-, Chikungunya- und Rifttal-Virus. Das ursprünglich in den Tropen heimische Insekt breitet sich weltweit aus. In Italien hat sich eine verwandte Aedes-Art schon angesiedelt. Und es gibt bereits in der Nähe von Freiburg im Breisgau den ersten Nachweis von Tigermücken, die den deutschen Winter überstanden und dort sogar gebrütet haben. Bei aller Hoffnung, die Schetelig in die neue Technologie setzt, hat er auch die Risiken der Freilassung transgener Insekten im Blick. In einem Projekt, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Emmy Noether-Programms gefördert wird, untersucht er zum Beispiel, wie stabil die fremden Gene in das Erbgut integriert sind und was passiert, wenn andere Tiere die genetisch veränderten Fliegen fressen. »Da wir die Männchen vor der Freilassung zusätzlich durch radioaktive Bestrahlung sterilisieren, sind wir überzeugt davon, dass sie sich nicht vermehren«, verdeutlicht Schetelig. Mit einer grossflächigen Anwendung der Technologie rechnet er am ehesten in Ländern, in denen bereits Regularien für die Freisetzung genetisch veränderter Organismen bestehen, wie zum Beispiel in Südamerika und ansatzweise in den USA. »Die Akzeptanz hängt entscheidend von der Höhe der Bedrohung durch die Schädlinge ab«, ist der Forscher überzeugt. «Wenn wir in Deutschland die gleichen Probleme mit dem Denguefieber und dem Zika-Virus hätten wie in Brasilien, würden wir auch nach unterschiedlichsten Lösungen suchen und diese evaluieren. Und da gehört die Sterile Insektentechnik mit transgenen Mücken auf jeden Fall dazu.»
Ein riesiges Heer unfruchtbarer Insektenmännchen dient bei der Sterilen Insekten-Technik (SIT) als Waffe gegen die eigenen Artgenossen. Da die sterilen Männchen gegenüber ihren frei lebenden Geschlechtsgenossen in massiver Überzahl sind, paaren sich die meisten Weibchen mit ihnen - bekommen danach aber keinen Nachwuchs. Gezüchtet werden die unfruchtbaren Männchen in grossen Anlagen, zum Beispiel in Guatemala oder in Spanien. Die Sterilisierung erfolgt klassischerweise durch radioaktive Bestrahlung. Von der Zuchtanlage geht es per Flugzeug ins Zielgebiet, wo Millionen von Tieren freigelassen werden. Sterile Insekten-Technik - Die Historie Entwickelt wurde die SIT, die auch Sterile Männchentechnik genannt wird, in den späten 1930er Jahren in den USA von Raymond C. Bushland und Edward F. Knipling zur Bekämpfung der Neuwelt-Schraubenwurmfliege, die als Hautparasit Rinder, Schafe und auch den Menschen befällt. Dank SIT kommt dieser Schädling in den USA nicht mehr vor. In Sansibar gelang 1997 die Ausrottung der Tsetsefliege und damit der von ihr übertragenen Schlafkrankheit. Eines der weltweit grössten, laufenden SIT-Programme gilt der Bekämpfung der Mittelmeer-Fruchtfliege, eines gefürchteten Schädlings im Obst- und Gemüseanbau. Da die SIT ganz gezielt nur eine Insektenart bekämpft, ist sie schonend und umweltfreundlich. Was passiert, wenn genetisch veränderte Fliegen gefressen werden? Dieser Frage geht Prof. Marc F. Schetelig schon seit einigen Jahren in einem Langzeitprojekt nach. Dabei verfüttern die Wissenschaftler Fliegen an Fische und untersuchen deren Nachkommen und die gefütterten Tiere selbst molekulargenetisch auf Rückstände. Nach mehr als drei Jahren Testphase gab es bisher keinen Transfer der DNA auf die Elterngeneration oder die Nachkommen. Dies bestätigt die Stabilität des Systems im Genom des Insektes. Die DNA besteht aus vier Bausteinen, die bei jedem Lebewesen identisch sind - daher macht es keinen Unterschied, welche Art von genetischer Information verdaut wird. Gen A, Gen B oder Gen C - alle werden im Verdauungsprozess in die gleichen Bausteine zerlegt. Die Fraunhofer-Gesellschaft Die Fraunhofer-Gesellschaft ist die führende Organisation für angewandte Forschung in Europa. Unter ihrem Dach arbeiten 67 Institute und Forschungseinrichtungen an Standorten in ganz Deutschland. 24'000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bearbeiten das jährliche Forschungsvolumen von mehr als 2,1 Milliarden Euro. Davon fallen über 1,8 Milliarden Euro auf den Leistungsbereich Vertragsforschung. Über 70 Prozent dieses Leistungsbereichs erwirtschaftet die Fraunhofer-Gesellschaft mit Aufträgen aus der Industrie und mit öffentlich finanzierten Forschungsprojekten. Die internationale Zusammenarbeit wird durch Niederlassungen in Europa, Nord- und Südamerika sowie Asien gefördert.
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