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Im Trinkwasser lebt viel mehr als bisher angenommen 2013
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Im Trinkwasser lebt viel mehr als bisher angenommen

Wie viele Zellen von Mikroorganismen sich im Trinkwasser befinden, darf jetzt offiziell mit Hilfe der Durchflusszytometrie (DFZ) ermittelt werden. Das Bundesamt für Gesundheit hat die an der Eawag entwickelte sowie im In- und Ausland aufwendig getestete Methode ins Schweizerische Lebensmittelbuch (SLMB) aufgenommen. Das Verfahren liefert viel realitätsnähere Ergebnisse als die bisher gängige Methode, bei der Bakterienkolonien auf Nährböden kultiviert werden. Die Resultate machen deutlich: Auch in einwandfreiem Trinkwasser leben zwischen 100- und 10'000mal mehr Zellen als die heute angewendete Kultivierungsmethode glauben macht.

Ob Trinkwasser hygienisch einwandfrei ist, wird seit mehr als 100 Jahren fast unverändert mit derselben Methode ermittelt: Man gibt die im Wasser vorhandenen Bakterien auf einen festen Nährstoffboden, lässt sie an einem warmen Ort aufwachsen und zählt nach einer gewissen Zeit die gebildeten Kolonien. Als Indikatoren für die Verschmutzung mit Fäkalien dienen dabei die Darmbakterien Escherichia coli und Enterokokken. Parallel dazu, als Mass für die allgemeine mikrobiologische Qualität, wird auch die aerob-mesophile Keimzahl (AMK) ermittelt. Diese Methode zeigt eine Grössenordnung aller vorhandener Mikroben, die sich bei Temperaturen von rund 20 bis 45 Grad (=mesophil) vermehren können. Nach weltweitem Standard sollten nicht mehr als 300 Kolonien pro Milliliter aufwachsen.

Zellzahlen bisher massiv unterschätzt

Die Methode der Kultivierung hat zwei entscheidende Nachteile: Sie benötigt viel Zeit - im Fall der AMK-Zahl dauert es 3 bis 10 Tage bis zu einem Resultat - und es werden nur Bruchteile der effektiv in der Probe lebenden Keime gezählt. Denn erfasst werden nur diejenigen Bakterien, die bei den vorgegebenen Bedingungen wachsen und Kolonien bilden können. Das sind üblicherweise 0.01 bis 1 Prozent. Der auch in der schweizerischen Hygieneverordnung festgelegte Toleranzwert von weniger als 300 koloniebildenden Einheiten pro Milliliter (KBE/ml) beruht also auf einer starken Unterschätzung der tatsächlichen Zahl vorhandener Mikroorganismen. Im Gegensatz dazu liefert das Aufwachsen lassen für E. coli und Enterokokken im Normalfall verlässliche Resultate.

Totalzellzahl und Fingerabdruck

Im Dezember 2012 hat das Bundesamt für Gesundheit das Verfahren Nr. 333 «Bestimmung der Totalzellzahl und des quantitativen Verhältnisses der Zellen niedrigen bzw. hohen Nukleinsäuregehaltes in Süsswasser mittels Durchflusszytometrie» als empfohlene Untersuchungsmethode ins SLMB aufgenommen. Statt des veralteten AMK-Werts, der heute nicht mehr als hygienerelevant eingestuft wird, kann nun mit der DFZ die Totalzellzahl in einer Wasserprobe innert weniger Minuten ermittelt werden. Anders als der AMK-Wert ist diese Zahl ein realistischer Gradmesser für die mikrobielle Belastung des Wassers und lässt - zumindest indirekt - auf dessen Verschmutzung schliessen. Zudem kann mit demselben Verfahren auch das Verhältnis von eher grossen zu eher kleinen Zellen ermittelt werden (Zellen mit hohem oder niedrigem Nukleinsäure-Gehalt). Dieses gilt unter Fachleuten als «Fingerabdruck» des Wassers; plötzliche Veränderungen dieses Werts können zum Beispiel auf Schäden und falsche Anschlüsse im Leitungsnetz oder Störungen in einer Wasseraufbereitung hinweisen.

Neue Standardmethode

Die Schweiz ist das erste Land weltweit, das diese fortschrittliche Methode zur Quantifizierung von Mikrobenzellen in Wasser einführt. Eawag-Trinkwasserspezialist Stefan Kötzsch ist überzeugt, dass weitere Länder, wie die Niederlande, folgen werden. Muss der Bund angesichts der viel höheren Totalzellzahlen nun neue Grenzwerte festlegen? «Nein, das ist nicht sinnvoll und kaum möglich», sagt Kötzsch, «denn jedes Wasser weist je nach Herkunft eine eigene mikrobiologische Zusammensetzung auf, und hohe Zellzahlen alleine lassen noch nicht auf eventuell vorhandene Krankheitserreger schliessen».

Koetzsch und seine Kollegen sind trotzdem überzeugt, dass sich die DFZ in der Überwachung der Trinkwasserqualität als neuer Standard etablieren wird. Denn die Methode kann ideal eingesetzt werden, um ein ganzes Versorgungssystem - von der Trinkwassergewinnung über die Aufbereitung und Verteilung bis zu den Konsumenten - zu überwachen, Prozesse zu optimieren und Problemstellen ausfindig zu machen. Bereits wird an einer automatisierten Version des Verfahrens gearbeitet, die eine «online» Kontrolle der Bakterienzahlen erlaubt.

Das Prinzip des Durchflusszytometers

Die Durchflusszytometrie wurde für medizinische Anwendungen entwickelt, wo sie seit den 1980er Jahren, zum Beispiel bei der Analyse der (relativ grossen) Blutzellen, zum Einsatz kommt. Basis der DFZ für Trinkwasserproben bildet die Anfärbung der (zumeist kleinen) Zellen einer Probe mit einem Fluoreszenzfarbstoffs, der an DNA bindet. Die Zellen werden dann durch eine enge Kapillare geschickt, dass sie einzeln von einem Laserstrahl abgetastet werden können. Das entstehende Streulicht- bzw. Fluoreszenzlichtsignal wird von Detektoren erfasst, und eine Analysesoftware kann schliesslich jedem einzelnen Partikel (= Zelle) ein spezifisches Signal zuordnen.

Bevor die Durchflusszytometrie für Wasserproben in der täglichen Praxis angewendet werden konnte, musste sie standardisiert und strengen Tests unterworfen werden. Diese Arbeiten haben die Kommission für Technologie und Innovation (KTI) und der Schweizerische Verein des Gas- und Wasserfaches (SVGW) finanziell unterstützt. Insgesamt 24 Partner aus Forschung, Verwaltung sowie öffentlichen und privaten Labors waren daran beteiligt.

Quelle: Text Eawag , 24. Januar 2013
Pakistan Arsenrisiko im Trinkwasser viel grösser als angenommen
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Externe Links
Eawag Wasserforschungs-Institut des ETH-Bereichs
Bundesamt für Umwelt BAFU Schweiz
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