Cyanobakterien: Spannende Winzlinge in Alpenrandseen Die Zusammensetzung der Blaualgen, oder fachlich korrekt Cyanobakterien, in den Seen am Alpenrand wird seit fast 100 Jahren immer gleichförmiger. Profiteure der Klimaerwärmung und des zeitweiligen Nährstoffüberangebots (Eutrophierung) sind dabei vor allem Arten, die sich sehr schnell an Veränderungen anpassen können und potentiell giftig sind. Zu diesem Befund kommt ein Team von Forschenden unter Leitung der Eawag dank der Untersuchung von DNA aus Sedimentkernen. Sie waren mit die ersten, die Sauerstoff produzierten und bildeten damit einen Meilenstein in der Evolution von Pflanzen und Tieren: Cyanobakterien. Noch heute besiedeln die unzähligen Arten fast alle Lebensräume der Erde. Marie-Eve Monchamp hat im Rahmen ihrer Doktorarbeit an der Eawag Bohrkerne aus dem Sediment von zehn Alpenrandseen in Europa analysiert und konnte so einen Blick auf die Lebensgemeinschaften der Cyanobakterien während der letzten 100 Jahre werfen. Die Alpenrandseen Europas beherbergen eine charakteristische Gemeinschaft von Cyanobakterien. Im Rahmen ihrer Doktorarbeit an der Eawag hat Marie-Eve Monchamp diese untersucht. «Aus zehn Seen in der Schweiz, in Italien und in Frankreich haben wir Sedimentbohrkerne entnommen und die darin abgelagerte DNA von Cyanobakterien analysiert», erklärt sie. So rekonstruierten Monchamp und ihr Team, wann und wo welche Bakteriengemeinschaften gelebt hatten. Sie stellten fest, dass die Anzahl verschiedener Arten in den Seen während der vergangenen 100 Jahre zwar nicht wesentlich abgenommen hat, die Lebensgemeinschaften der verschiedenen Seen sich aber immer mehr angeglichen haben. Von den veränderten Lebensbedingungen im See profitiert haben vor allem Arten, die sich schnell an sich ändernde Umstände anpassen können. Das kann zum Problem werden, denn: «Gerade diese Arten sind oft toxisch», erklärt Monchamp. Temperatur beeinflusst Artzusammensetzung Die Forschenden haben die nun Daten vertieft ausgewertet, um herauszufinden, ob und wie die Aktivität des Menschen auf die Artzusammensetzungen wirken. Beeinflussen Dünge- und Waschmittel die Cyanobakteriengemeinschaft? Wie reagieren die Bakterien auf die steigenden Temperaturen? Die Forschenden stellten alle in den Sedimentbohrkernen gefundenen Lebensgemeinschaften in Stammbäumen dar. Monchamp erklärt: «Sind die Arten zufällig über die Äste des Stammbaumes verteilt und ist kein Muster erkennbar, scheint nichts ihre Vielfalt zu beeinflussen. Sind sie gruppiert oder extrem gleichmässig verteilt, deutet dies darauf hin, dass sie durch externe Faktoren geprägt werden.» Die photosynthetisch aktiven Cyanobakterien in den zehn Seen scheinen von den äusseren Bedingungen mässig beeindruckt: Mit 44 von 76 waren etwas mehr als die Hälfte der untersuchten Stammbäume gruppiert, die restlichen waren zufällig verteilt. Der Vergleich mit Daten zur Wasserqualität und -temperatur liess die Forschenden zum Schluss kommen, dass vor allem die Temperatur einige Arten bevorzugt und andere verschwinden liess. «Schon bei früheren Analysen sahen wir, dass auch wichtig ist, wie stabil das Wasser geschichtet ist», ergänzt Monchamp. Nährstoffe wie Phosphor oder Stickstoff hingegen scheinen die Vielfalt der Cyanobakterien-Gemeinschaft nicht zu beeinflussen. Daten, mit denen niemand gerechnet hatte Als Monchamp bei der Analyse der Sedimentbohrkerne auf Gene von Cyanobakterien stiess, die keine Photosynthese betreiben, schenkte sie diesen zunächst nicht gross Beachtung. Doch als die Bakterien in grosser Zahl in den Bohrungen aller Seen und zu allen repräsentierten Zeiten auftauchten, wurde sie neugierig: «Die Daten waren zu schön, um sie nicht auszuwerten.» Gemeinsam mit ihrem Team fand sie 63 taxonomische Einheiten nicht photosynthetisch aktiver Cyanobakterien der beiden Stämme Melainabacteria und Sericytochromatia. Auch weil sie sich im Labor kaum kultivieren lassen, sind die nicht photosynthetisch aktiven Cyanobakterien erst wenig untersucht. Die gefundenen Bakterien sind zwar verwandt mit den photosynthetisch aktiven Arten, haben aber einen völlig anderen Metabolismus und sind äusserst variabel: Sie kommen in Ökosystemen mit und ohne Sauerstoff vor, mit und ohne Licht und egal, wie viele Nährstoffe vorhanden sind. Auch in den Verdauungssystemen von Tieren leben nicht photosynthetisch aktive Cyanobakterien. Ähnliche Fragen, andere Antworten Die Forschenden begannen nach Mustern zu suchen, die sie bei den photosynthetisch aktiven Bakterien gefunden hatten. «Was wir fanden passte zu dem Wenigen, das in der Literatur dokumentiert ist», erzählt Monchamp. Die Analyse der Stammbäume ergab, dass Melainabacteria und Sericytochromatia nicht auf Umwelteinflüsse wie Temperatur oder Nährstoffangebot zu reagieren scheinen. Von den zehn untersuchten Seen hat sich ihre Artzusammensetzung über die letzten 100 Jahre nur im Lac d'Annecy verändert. Für Monchamp einerseits ein überraschendes Resultat, denn der Lac d'Annecy ist im Vergleich zu den anderen Seen relativ unberührt. «Bei diesen konstanten Umweltbedingungen hätten wir entsprechend auch die stabilste Population erwartet», erklärt sie. Andererseits erstaunt es sie wenig, dass der Artenreichtum der nicht photosynthetisch aktiven Cyanobakterien im Gegensatz zu den photosynthetisch aktiven über die Zeit nicht zugenommen hat: «Sie haben einen völlig anderen Stoffwechsel. Da wundert es nicht, dass sie sich auch anders verhalten.» Interesse in Forschergemeinschaft geweckt In der Forschergemeinschaft lösten die Ergebnisse grosses Echo aus. «Ich verbreitete erste Ergebnisse über Twitter und weckte damit viel Interesse», erzählt Monchamp. Denn: auch wenn die Präsenz nicht photosynthetisch aktiver Cyanobakterien in anderen aquatischen Ökosystemen bereits dokumentiert worden war, hat sie noch niemand innerhalb ihres Lebensraumes studiert. «Unsere Daten über einen längeren Zeitraum und über ein grosses Gebiet ermöglichen einen interessanten Einblick in ihre Lebensweise», sagt Monchamp. «Auf dieser Grundlage können weitere Studien aufbauen, um die Ökologie der nicht photosynthetisch aktiven Cyanobakterien zu erforschen.» Originalpublikationen Monchamp, M.-E.; Spaak, P.; Pomati, F. (2019) High dispersal levels and lake warming are emergent drivers of cyanobacterial community assembly in peri-Alpine lakes, Scientific Reports, 9, 7366 (8 pp.), doi:10.1038/s41598-019-43814-2, Institutional Repository Monchamp, M.-E.; Spaak, P.; Domaizon, I.; Dubois, N.; Bouffard, D.; Pomati, F. (2018) Homogenization of lake cyanobacterial communities over a century of climate change and eutrophication, Nature Ecology & Evolution, 2, 317-324, doi:10.1038/s41559-017-0407-0, Institutional Repository Monchamp, M.-E.; Spaak, P.; Pomati, F. (2019) Long term diversity and distribution of non-photosynthetic cyanobacteria in peri-Alpine lakes, Frontiers in Microbiology, 9, 3344 (11 pp.), doi:10.3389/fmicb.2018.03344, Institutional Repository
Der Klimawandel wird sich auch auf die Gewässer und Gewässerökosysteme in der Schweiz auswirken. Inwiefern haben Forschende der Eawag nun in einem Synthesebericht im Auftrag des BAFU dargelegt. Insgesamt werde es auch in Zukunft möglich sein, die hohe Wasserqualität in der Schweiz durch Management und Anpassung beizubehalten. Allerdings müsse mit höheren Kosten gerechnet werden, schreiben die Autoren. So kann besseres Nährstoffmanagement in Einzugsgebieten kritische Auswirkungen auf Seen teilweise ausgleichen, etwa die verringerte Sauerstoffkonzentration in tieferen Schichten oder Cyanobakterienblüten im Spätsommer. Ähnlich können Verschmutzungsspitzen, etwa Überläufe von Kläranlagen bei Hochwasserereignissen oder Pflanzenschutzmittel in landwirtschaftlichen Einzugsgebieten, verhindert werden, indem die Einträge reduziert und die Abwasser- und Abwasserbewirtschaftung verbessert werden. Allerdings können einige Veränderungen der Gewässerqualität, beispielsweise steigende Wassertemperaturen oder die saisonale Verschiebung der Abflussregime der Flüsse, auch durch Management nicht verhindert werden. Hinzu kommt, dass viele Auswirkungen des Klimawandels auf die Gewässer indirekt sein werden, beispielsweise durch veränderte Landnutzungsformen, welche dann die Gewässerqualität beeinflussen. Verglichen mit den Effekten auf die Gewässerqualität werden Veränderungen der Gewässerökologie mit grösserer Wahrscheinlichkeit eintreten und sich weniger abschwächen lassen. Dazu gehören etwa die die Verbreitung von invasiven und an warme Temperaturen angepasste Arten, eine Verschiebung der Habitate in höhere Lagen sowie erhöhte Fischsterblichkeit durch Hitzewellen. Diese Studie entstand im Auftrag des Bundesamtes für Umwelt im Rahmen des NCCS Themenschwerpunktes «Hydrologische Grundlagen zum Klimawandel» (Hydro2020). Originalartikel Benateau, S.; Gaudard, A.; Stamm, C.; Altermatt, F. (2019) Climate change and freshwater ecosystems. Impacts on water quality and ecological status, 111 p, Institutional Repository
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