Die Entwicklung sowohl der CO2-Emissionen als auch des Meeresspiegelanstiegs, der Erwärmung der Ozeane und des sommerlichen Abschmelzens des arktischen Meereises liegen an der obersten Grenze oder über der Bandbreite der Erwartungen, wie sie im IPCC-Bericht 2007 dargestellt sind. Aus neuen Forschungsergebnissen seit der Veröffentlichung des letzten IPCC-Berichts können wichtige Schlüsse bezüglich Massnahmen gezogen werden: 1. Das (Klima-)system der Erde reagiert möglicherweise rascher als angenommen auf den erhöhten Treibhauseffekt, Emissionsreduktionen sind deshalb dringend. 2. Die Erreichung des Ziels, die globale Erwärmung auf 2 °C gegenüber vorindustriellen Werten zu begrenzen, ist immer noch erreichbar. 3. Die weltweit bisher in Aussicht gestellten Massnahmen zur Emissionsreduktion reichen bei weitem nicht aus, um das 2 °C-Ziel zu erreichen, höhere Reduktionsziele als bisher geplant sind nötig. Im Hinblick auf die grosse Klimakonferenz in Kopenhagen im Dezember 2009 wurde in diesem Frühjahr an einer grossen wissenschaftlichen Konferenz (ebenfalls in Kopenhagen) die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen seit der Veröffentlichung des IPCC-Berichts vor zwei Jahren diskutiert. Die Quintessenz aus den Diskussionen enthält eine gute und zwei schlechte Nachrichten. Die gute Nachricht: Die Forschenden sehen technische, politische und wirtschaftliche Möglichkeiten, um den Temperaturanstieg auf zwei Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit zu beschränken und dadurch die Gefahr von erheblichen Schäden einigermassen einzuschränken. Die erste schlechte Nachricht: Um dieses Ziel zu erreichen, sind deutlich weitergehende Massnahmen notwendig, als weltweit die einzelnen Nationen zur Zeit geplant haben [1]. Die weltweiten CO2-Emissionen sind in den letzten Jahren stärker angestiegen als in allen IPCC-Szenarien, auch wenn dieser Trend durch die gegenwärtige Weltwirtschaftskrise (vorübergehend?) etwas gemildert werden könnte. Die zweite schlechte Nachricht: Die Auswirkungen der Treibhausgasemissionen und der damit verbundenen Erwärmung machen sich schneller bemerkbar als erwartet. Höhere Reduktionsziele notwendig Bei Einhaltung der gegenwärtig formulierten nationalen Reduktionsziele würden bis 2050 die CO2Emissionen in den Industrieländern zwar gegenüber 1990 um rund 60% sinken, global würden die Emissionen aufgrund der Zunahme in Schwellen- und Entwicklungsländern hingegen um 80-90% ansteigen. Um das 2 °C-Ziel einzuhalten wäre eine globale Reduktion um etwa 50-80% nötig [2]. Die bisher angekündigten Massnahmen reichen für eine Reduktion der Erwärmung auf rund 2.2-4.6 °C. Bei einer Beschränkung der gesamten Emissionsmenge zwischen 2000 und 2050 auf 1'000 Gt CO2 (die heutigen globalen Emissionen liegen bei ca. 30 Gt CO2 pro Jahr) wird die Erwärmung wahrscheinlich zwischen 1 und 2 °C liegen und das Zwei-Grad-Ziel mit etwa 80%-iger Wahrscheinlichkeit erreicht werden können. Was, wenn wir das Zwei-Grad-Ziel verpassen? Ist das 2 °C-Ziel unter den oben beschriebenen politischen Realitäten überhaupt erreichbar? Wenn man sich die nackten Zahlen und die aktuelle Diskussion anschaut, müsste man pessimistisch sein. Doch ist das ein Grund, überhaupt keine Massnahmen zu ergreifen? Die Antwort ist ganz klar: Keinesfalls. Das 2 °C-Ziel ist, obwohl alle politischen Absichtserklärungen, vor kurzem auch der G8-Staaten, ein entsprechendes Bekenntnis enthalten, keine absoluter Schwellenwert. Die Welt geht nicht unter, wenn die Erwärmung mehr als zwei Grad beträgt. Die Schäden nehmen grundsätzlich mit der Erwärmung zu, und zwar überproportional. Zudem gibt es vermutlich im Klimasystem Schwellenwerte, bei deren überschreitung gewisse unumkehrbare, sich zum Teil selbst verstärkende Entwicklungen in Gang gesetzt werden, doch lassen sich diese, wenn überhaupt, nur sehr ungenau abschätzen. Ein Beispiel dafür ist das Abschmelzen des grönländischen Eisschildes, für dessen Unumkehrbarkeit Schwellenwerte der globalen Erwärmung zwischen 1 und 3 °C geschätzt werden. Im Weiteren lagern beispielsweise unter dem arktischen Permafrost riesige Mengen des Treibhausgases Methan, die bei zunehmender Erwärmung in die Atmosphäre freigesetzt werden und ihrerseits zum weiteren Temperaturanstieg beitragen können. Auch die tropischen Regenwälder und borealen Nadelwälder ertragen nur ein bestimmtes Mass an Erwärmung oder Veränderung des Wasserhaushaltes. Starke Veränderungen bringen diese Ökosysteme zum Kollabieren. Die entsprechenden Grenzwerte sind jedoch nicht bekannt. Es macht also kaum Sinn, Reduktionsziele auf solche Schwellenwerte auszurichten. Wichtig ist, sich vor Augen zu halten, dass jede Reduktion der Emissionen ... 2. die Wahrscheinlichkeit, dass gefährliche Schwellenwerte überschritten werden, senkt. Das Ziel muss also sein, so viel wie irgendwie möglich zu reduzieren, um so nahe wie möglich an das 2 °C-Ziel heranzukommen, das nach bisherigen Erkenntnissen die Schäden in einigermassen tragbarem Rahmen halten kann. Allerdings darf man nicht vergessen, dass auch der Umgang mit einer Erwärmung von 2 °C schwierig sein wird, insbesondere in armen Ländern und Gesellschaften. Die Moral der Kosten/Nutzen-Rechnung Bei der Frage, wie viele Schäden bis zu welchen (Grenz-)Kosten vermieden werden sollen, geht es unter anderem auch um moralisch-ethische Fragen bzw. um Fragen der Gerechtigkeit gegenüber den ärmeren und zukünftigen Bevölkerungen. Die Kosten/Nutzen-Rechnung ist vor allem für die ersten und relativ billigen Massnahmen gut, weil mit geringen Kosten relativ hohe Schäden vermieden werden können, da die Auswirkungen etwa im Quadrat mit den Emissionen zunehmen. Weitergehende Massnahmen, die bei höheren Reduktionszielen notwendig sind, werden jedoch immer teurer, während der vermiedene Schaden bzw. vermiedene Anpassungskosten abnehmen. So gibt es theoretisch eine Grenze, wo sich Massnahmen nicht mehr lohnen, denn es müssen Ressourcen eingesetzt und Opfer gebracht werden, um die Emissionen zu senken. Diese Grenze wird jedoch meist eher zu hoch angesetzt, d.h. man kapituliert bei zu geringen Reduktionen vor den Kosten, und zwar aus folgenden Gründen: Bei nationalen Kosten/Nutzen-Rechnungen werden den national anfallenden Kosten der Massnahmen nur der Nutzen im Inland, kaum jedoch die vermiedenen Folgen des Klimawandels im Ausland gegenübergestellt. Bei globalen Kosten/Nutzen-Betrachtungen fallen die ärmsten Länder kaum ins Gewicht, weil ihre wirtschaftliche Bedeutung zu klein ist. Dabei werden die ärmeren Länder und insbesondere die armen Bevölkerungsteile in vielen Ländern besonders unter dem Klimawandel leiden und sich auch geringe Anpassungskosten nicht leisten können, und dies, obwohl sie kaum zur Verursachung beigetragen haben. In einer globalen Rechnung müssten deshalb sowohl Anpassungs- und Schadenskosten als auch die Kosten von Massnahmen der armen Länder übergewichtet werden. Schliesslich stellt sich auch die Generationenfrage: Die Kosten von Reduktionsmassnahmen fallen auf heutige Generationen, deren Nutzen aber auf zukünftige Generationen. Die übliche Diskontierung zukünftiger Kosten, d.h. die Berücksichtigung von Zinserträgen von erst in Zukunft eingesetztem Kapital, greift hier jedoch zu kurz. Sie berücksichtigt nur Kosten und Nutzen von Massnahmen, nicht jedoch Kosten und Nutzen von Nicht-Massnahmen. Die heutige Generation hat einen hohen Nutzen durch die Verbrennung von Erdöl und die damit verbundenen Emissionen, während kommenden Generationen kaum mehr Erdöl zur Verfügung stehen wird und sie demnach keinen Nutzen von deren Verbrennung haben, sie jedoch die damit verbundenen Schäden tragen müssen. Die Aufbürdung von Schadensund Anpassungskosten an kommende Generationen mit dem Argument, diese Kosten seien für sie kleiner als die Vermeidungskosten für die heutige Generation, ist ethisch sehr bedenklich. Dieses Problem wird teilweise mit einem sehr tiefen Diskontierungssatz (d.h. kleiner Verzinsung) gelöst, doch lässt sich letztendlich die Frage der optimalen Kombination von Emissionsreduktionen, Anpassungsmassnahmen und verbleibender Klimaschäden nicht rein technokratisch lösen. Ein grosser Teil der Klimaänderung kann, wenn sie einmal eingetreten ist, zudem selbst mit einer Reduktion der Emissionen auf null nicht rückgängig gemacht werden, und einige Auswirkungen wie das Aussterben von Tierarten sind sicher irreversibel. Kosten/Nutzen-Rechnungen sind insbesondere bei solchen Schwellenprozessen problematisch. Die Klimaänderung verläuft eher schneller als erwartet Wie erwähnt weisen die Kenntnisse bezüglich der zu erwartenden Folgen der Emissionsentwicklung einige Unsicherheiten auf. Dabei geht es nicht primär um die Erwärmung an sich, die als solches vergleichsweise wenig direkte Folgen hat, sondern vielmehr um die indirekten Auswirkungen. Hier stechen vor allem zwei Entwicklungen hervor, die sich oberhalb der IPCC-Erwartungen entwickeln: 1. Das sommerliche Abschmelzen des arktischen Meereises, das gravierende Folgen für die Ökosysteme der hohen Breiten hat und auch Änderungen in der globalen Temperaturverteilung und den damit verbundenen Systemen (z.B. die atmosphärische Zirkulation) beeinflussen kann. Der in den letzten Jahren beobachtete Rückgang des spätsommerlichen Minimums der arktischen Meereisbedeckung scheint schneller voranzuschreiten als in Modellrechnungen (Abb. 2). Zwar wurde die Wirkung der höheren Temperaturen vor allem im Jahr 2007 durch die besonderen meteorologischen Verhältnisse verstärkt, doch ist eine "Erholung" von diesem Einzelereignis aus verschiedenen Gründen nicht unbedingt zu erwarten. Im Jahr 2008 wurde das Rekordminimum auch ohne Unterstützung besonderer Wetterbedingungen beinahe wieder erreicht. Auch 2009 lag das Minimum trotz ungünstiger Schmelzbedingungen immer noch sehr tief. Zudem deuten die vorhandenen Messungen auf eine weitere Abnahme des Volumens des Meereises in den letzten beiden Jahren hin (die "Bedeckung" erfasst nur die Fläche, die von Meereis bedeckt ist, unabhängig von der Dicke des Eises). Die Abnahme der Meereisdicke könnte auch zur Folge haben, dass sich das Meereis, das schon immer durch den Wind bewegt worden ist und nie starr an einem Ort bleibt, schneller bewegt und dadurch mehr Eis aus der Arktis in wärmere Bereiche, insbesondere in den offenen Atlantik abgeführt werden könnte. Dies war jedenfalls im letzten Jahr der Fall, als vor allem viel dickes, mehrjähriges Eis in den Atlantik getrieben wurde. Langjährige Beobachtungen zeigen auch einen klaren Trend zu allgemein höheren Bewegungsgeschwindigkeiten des arktischen Eises. Wird dickes, mehrjähriges Eis schneller entfernt, so nimmt einerseits das Gesamtvolumen ab, da im Winter nur eine Eisschicht von beschränkter Dicke neu gebildet wird, anderseits schmilzt diese dünne Schicht im Sommer schneller. Einige Fachleute rechnen heute damit, dass je nach meteorologischen Bedingungen eine praktisch eisfreie Arktis am Ende des Sommers schon innerhalb der nächsten zwei bis drei Jahrzehnte auftreten könnte. Die Modellrechnungen zeigen jedoch eine regelmässig eisfreie Arktis nach wie vor erst ab ca. 2060. Allerdings scheinen die Klimamodelle den Einfluss der Eisdicke noch nicht adäquat zu erfassen. 2. Der Meeresspiegel steigt eher schneller an, als dies in den IPCC-Projektionen erwartet wird. Im IPCC-Bericht wird erwähnt, dass in den Projektionen dynamische Effekte in den polaren Eisschildern (Grönland und Antarktis) ausgeklammert sind. Der Einbezug dieser Prozesse führt zu einem grösseren Unsicherheitsbereich, vor allem gegen oben. Aber auch aus Beobachtungen abgeleitete statistische Berechnungen weisen auf einen möglicherweise stärkeren Meeresspiegelanstieg hin [5,6]. Während die IPCC-Projektionen bis 2100 einen Meeresspiegelanstieg im Bereich zwischen etwa 20-70 cm enthalten, liegen neuere Schätzungen eher im Bereich von etwa 50-150 cm bis Ende des 21. Jahrhunderts [5,6,7]. Für die Projektionen kann der Beitrag der Ausdehnung des Meerwasservolumens durch die Erwärmung relativ gut berechnet werden, und der Beitrag der Gletscher ist auf etwa 30-50 cm beschränkt (entspricht dem gesamten Eisvolumen in Gletschern). Das grosse Fragezeichen bilden die beiden Eisschilder in Grönland und in der Westantarktis, deren Volumen rund 7 bzw. 5 Metern Meeresspiegel entspricht. Hier stellt sich vor allem die Frage nach der Geschwindigkeit des Abschmelzens, wobei weniger die Schmelzprozesse als vielmehr der Abfluss von Eismassen ins Meer oder in tiefere Lagen mit höherer Temperatur entscheidend sein können. Das grösste Potential liegt dabei in der Westantarktis, wo grosse Eisflüsse im Meer enden und der Abfluss nicht wie in Grönland topographisch begrenzt ist. Die zukünftige Entwicklung dieser Eisabflüsse wird in Zukunft für das Ausmass des Meeresspiegelanstiegs immer entscheidender, ist jedoch mangels Kenntnis vergleichbarer Bedingungen in der Vergangenheit und möglicher Prozesse weder aus bisherigen Beobachtungen ableitbar noch durch Modelle erfassbar. überraschungen sind nicht ausgeschlossen. Handeln ist dringend, es gibt viele Möglichkeiten Die Hauptaussagen aus der WissenschaftsKonferenz deuten alle in eine Richtung: Nicht-Handeln wäre unverantwortlich, es sollten so schnell wie möglich so viele Massnahmen wie machbar getroffen werden. Die Dringlichkeit des Handelns lässt sich aus den erwähnten Entwicklungen ableiten und überdies damit begründen, dass mit zunehmender zeitlicher Verzögerung die erforderlichen Massnahmen immer einschneidender werden. Dies hätte zur Folge, dass die Hauptaufgaben der nächsten Generation aufgebürdet würden. Der Synthesebericht [1] gibt Hinweise auf konkrete Handlungsoptionen: Wichtig wäre ein glaubwürdiger, auf lange Sicht ausgerichteter Preis für CO2-Emissionen, damit die Wirtschaft den langfristigen Gewinn durch Emissionsreduktionsmassnahmen planen kann. Die Politik sollte zudem die Energieeffizienz und Technologien mit wenig Kohlenstoffemissionen stark fördern. Dabei sollten die vielen vorhandenen Technologien und Möglichkeiten so rasch als möglich umgesetzt werden. Dies trifft an erster Stelle auf die sogenannten noregret-Massnahmen zu, das heisst Massnahmen, die unabhängig von ihrer Klimawirkung gewinnbringend sind (z.B. durch Senkung der Energiekosten). Solche Massnahmen werden heute aus verschiedenen Gründen nur zögerlich umgesetzt. Aktivitäten und Politiken (insbesondere Subventionen), die zu einer Erhöhung der Treibhausgasemissionen führen, sollten abgebaut werden. Neben den Massnahmen zur Reduktionsverminderung darf jedoch nicht vergessen werden, dass arme Regionen bereits heute und in den nächsten Jahren die Auswirkungen der Klimaänderung zu spüren bekommen und deshalb Unterstützung durch die primären Verursacher, d.h. bis heute vor allem die Industrieländer, benötigen. Umdenken in der Gesellschaft nötig Um die Ziele beim Klimaschutz zu erreichen, ist ein entschlossenes Umdenken in der Gesellschaft nötig. Bisher wurde im Industriezeitalter jeder technische Gewinn in der Effizienz, insbesondere beim Energieverbrauch, sofort durch zusätzlichen Konsum überkompensiert. Dieser Mechanismus muss durchbrochen werden. Auch Entwicklungs- und Gerechtigkeitsfragen sind zentral bei der Problemlösung. Die Klimaänderung ist, obwohl in Zukunft ein wichtiger Faktor, heute kein zentrales Problem in den Entwicklungsländern. Das Thema für diese Länder kann also in naher Zukunft nicht primär Verminderungspolitik sein, sondern vielmehr eine wirtschaftliche Entwicklung, welche die Anpassung an das zukünftige Klima und Energieeffizienz als zentrale Punkte berücksichtigt [8]. Fragen der (sozialen) Gerechtigkeit und wirtschaftlichen Entwicklung sind absolut zentral für die zukünftige Entwicklung der Emissionen in diesen Ländern und damit auch für deren weitere Entwicklung. Literatur und Anmerkungen 1 Synthesis Report from Climate Change, Global Risks, Challenges and Decisions, Kopenhagen, 10.-12. März, www.climatecongress.ku.dk, 2009
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