DLR-Wissenschaftler vermessen den Planeten Gräben, verzweigte Täler, Lavaflüsse oder auch den höchsten Berg im Universum - auf den Bildern der deutschen Stereokamera, die mit der europäischen Sonde Mars Express um den Roten Planeten fliegt, ist die Topographie des Mars so plastisch, dass man durch sie hindurchspazieren könnte. "Zum ersten Mal konnten wir den Mars räumlich - dreidimensional - sehen", sagt Prof. Ralf Jaumann, Projektleiter für die Mission im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Das war vor mittlerweile zehn Jahren. Am 2. Juni 2003 startete die Sonde mit der Kamera an Bord ins All, seitdem hat sie den Mars fast 12'000 Mal umkreist und den Wissenschaftlern ungewöhnliche Blicke auf den Planeten ermöglicht. Nach und nach entsteht so ein Bild des Mars in 3D - und die Planetenforscher lernen Neues und Überraschendes über KIima und Entwicklung des Roten Planeten. Die Kamera - eines der wichtigsten Instrumenten auf der Raumsonde - wurde noch während des Flugs zum Mars zur Erde hin gedreht und lieferte den ersten Beweis, dass sie den Start vom Weltraumbahnhof in Baikonur gut überstanden hatte: Aus knapp acht Millionen Kilometer Entfernung schoss die Kamera am 3. Juli 2003 eine Test-Aufnahme von Erde und Mond. Am DLR-Institut für Planetenforschung, das die Kamera entwickelt hat und betreibt, war die Erleichterung gross. Als die Sonde dann nur noch 5,5 Millionen Kilometer vom Roten Planeten entfernt war, gelang dann die nächste Aufnahme. Als helle und dunkle Flächen waren die verschiedenen Strukturen zu erkennen, die Eiskappe am Südpol leuchtete weiss. Am 25. Dezember 2003 erreichte Mars Express dann ihr Ziel - und sorgte für den ersten Schreck. Die Stereokamera blickte erstmals dicht über dem Mars hinunter und lieferte ein fast weisses Bild. "Da haben alle erst einmal geschluckt", erinnert sich Experimentmanager Prof. Ralf Jaumann. Funktionierte die weltraumtaugliche Kamera nicht? Für die Wissenschaftler wäre der Ausfall des Instruments eine herbe Enttäuschung gewesen. Doch einer der neun verschiedenen Kanäle der Kamera - der Infrarotkanal - zeigte immerhin schwache Konturen der Marsoberfläche. Die Problemlösung war dann schnell gefunden: Die Sensitivität der Kamera war nahe am Mars viel grösser als von den Forscher erwartet, und die erste Aufnahme war daher "überbelichtet". Zwei weitere Marsumkreisungen später wurde dann mit der richtigen Belichtungzeit aus 277 Kilometern Höhe am 10. Januar 2004 die erste von vielen erfolgreichen Aufnahmen gemacht. Detail für Detail zeigte sich ein Teil der südlichen Hochländer nahe der Isidis Planitia. Puzzle aus einzelnen Aufnahmen Mittlerweile ist aus den zahlreichen Aufnahmen fast ein kompletter"Globus" in 3 D des Roten Planeten entstanden. Wie ein Puzzle setzen die Wissenschaftler Stück für die Stück die Aufnahmen der Kamera zusammen und erstellen so eine globale Landkarte vom Mars. Von den 145 Millionen Quadratkilometern Marsfläche sind bereits 97 Millionen mit einer sehr guten Auflösung abgedeckt, bei der ein Pixel weniger als 20 Metern entspricht. Mit einer Genauigkeit von weniger als 100 Metern wurde mittlerweile fast die gesamte Marsoberfläche erfasst. Zum Teil machen atmosphärische Störungen wie Wolken, Dunst, Staubstürme oder die gefürchteten Staubteufel, die Wirbelwinde auf dem Mars, eine Aufnahme unbrauchbar - dann entsteht eine Lücke, die bei einem der nächsten Überflüge gefüllt wird. "Damit entsteht der umfangreichste Datensatz, der je mit einem deutschen Instrument zur Erkundung unseres Sonnensystems gewonnen wurde", sagt DLR-Planetenforscher Jaumann. Kombiniert werden diese Daten mit den Datensätzen anderer Missionen wie Mars Global Surveyor oder auch den Daten weiterer Instrumente auf der Mars Express-Sonde. Junge Vulkane und bewegte Klimageschichte Dass die Täler, Canyons und Lavaströme auch in 3D zu sehen sind, ermöglicht das ungewöhnliche Aufnahmeprinzip der Kamera: Nacheinander tasten neun lichtempfindliche Detektoren die Oberfläche unter neun verschiedenen Beobachtungswinkeln ab. Diese Daten wiederum werden von den DLR-Planetenforschern zu digitalen Geländemodellen und dreidimensionalen Bildern verarbeitet. "Wir können die gesamte Topographie beinahe so sehen, als würden wir vor Ort auf dem Mars stehen", betont Prof. Ralf Jaumann. Welche Neigung hat ein Hang? Wie dick ist die Lavaschicht? Mit den Aufnahmen der Mars-Express-Kamera konnten die Wissenschaftler beispielsweise feststellen, dass der Vulkanismus auf dem Mars noch relativ jung ist: Einige der Schildvulkane in der Marsprovinz Tharsis waren noch von wenigen Millionen Jahren aktiv - für Geologen liegt das noch in der nahen Vergangenheit des Planeten. Auch heute könnten die Vulkane durchaus noch einen Rest dieser ehemaligen Aktivität haben. Die Bilder der Stereokamera HRSC (High Resolution Stereo Camera) zeigten den Planetenforschern aber noch mehr: Auch wenn der Mars heute keine Bedingungen für flüssiges Wasser bietet - in seiner Vergangenheit muss Wasser über seine Oberfläche geflossen sein, dass beispielsweise die vor drei bis vier Milliarden Jahren tiefe Täler ins Hochland schliff und riesige Ausflusstäler schuf. Mit dem ultrahochauflösenden Teleobjektiv der Kamera können so detailreiche Aufnahmen gemacht werden, dass gerade geologische Prozesse, an denen Wasser beteiligt war, beobachtet werden können. Möglich ist auch, dass es im Laufe der Geschichte immer wieder fliessende und stehende Gewässer auf dem heute so trockenen, staubigen Planeten gab. Es müssen also in der Frühphase des Planeten andere klimatische Bedingungen geherrscht haben. Gut erkennbar ist dies auch auf den dreidimensionalen Bildern, die unweit des Äquators Strukturen zeigen, die von Gletschern stammen. Mit dem heutigen Klima auf dem Roten Planeten ist dies nicht vereinbar. Warum hat sich der Mars so entwickelt? Was hat dazu geführt, dass Mars und Erde so unterschiedlich sind? Und bot der Mars in seiner Vergangenheit Bedingungen, die Leben ermöglichten? Die Mars Express-Sonde und die HRSC-Kamera liefern kontinuierlich Daten, um diese Fragen zu beantworten. "Dabei sollte die Mars Express-Mission schon nach einem Marsjahr - also zwei Erdjahren - enden", erinnert sich Prof. Ralf Jaumann. In den vergangenen zehn Jahren verlängerte die Europäische Weltraumorganisation ESA die Mission aber immer wieder. Nun soll die Sonde noch bis Ende 2014 um den Mars kreisen. "Das ist eigentlich das Fazit zu den vergangenen zehn Jahren: Alles funktioniert noch bestens, und wir bekommen aktuelle Daten, die für die Erforschung des Mars wichtig sind."
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