Angebot und Nachfrage verändern sich auch bei potenziell süchtig machendenSubstanzen und Verhaltensweisen ständig. Mit neuen Entwicklungen stellen sich neue Herausforderungen. Was für manche im Verborgenen abläuft, hat sich in der Werbestrategie der Alkohol- und Tabakindustrie längst etabliert: das Anpreisen in sozialen Netzwerken, wo Nutzende Werbebotschaften aufgreifen und weiterleiten. Und wenn neue Produkte wie CBD-haltiges Cannabis einen Hype erleben, laufend neue Tabakprodukte erhältlich sind und Rauchende nach weniger schädlichen Alternativen suchen, muss dazu erst der passende Umgang gefunden werden. Welches Potenzial, welche Risiken und Langzeitfolgen diese Produkte haben, ist noch unklar. Ob der britische Psychopharmakologe David Nutt Recht behält, ist offen: Er prophezeit schon heute das Ende von Alkohol und Zigaretten. Welches sind die aktuellen Konsumtrends bei Alkohol, Tabak und illegalen Drogen in der Schweiz? Welche Probleme manifestieren sich beim Konsum von Medikamenten, beim Geldspiel und beim Internetgebrauch? Das jährlich erscheinende Schweizer Suchtpanorama nimmt sich dieser und weiterer Fragen an, liefert neuste Fakten und Zahlen, stellt Zusammenhänge her und kommentiert. Alkohol: billig und omnipräsent auch im Web Der Pro-Kopf-Konsum von Alkohol ist im Jahr 2016 leicht auf 7.9 Liter reinen Alkohol zurückgegangen und die Abstinenzrate liegt bei rund 14% der Schweizer Bevölkerung ab 15 Jahren - mehr als noch vier Jahre zuvor. Beim Risikokonsum gibt es indes kaum Veränderungen. 21.6% der Bevölkerung trinken chronisch oder punktuellrisikoreich. Alkohol kann billig und jederzeit erworben werden - auch im Internet, wo Konsumierende in sozialen Netzwerken zum erweiterten Arm der Werbeagentur werden. Alkohol ist zudem ein überall verfügbares Gut - eine Ausnahme sind Autobahnraststätten, aber laut Parlamentsbeschluss nicht mehr lange. Ein weiteres Signal der Deregulierung: Die Forderung, die Biersteuer abzuschaffen. Raucherquote stagniert, was die Politik nicht kümmert 2016 rauchten 25.3% der Personen über 15 Jahre in der Schweiz, das heisst ein Viertel der Bevölkerung. Dieser Anteil hat sich seit rund zehn Jahren nur marginal verändert. Knapp 40% der Bevölkerung kennen die Gefahren des Tabakkonsums ungenügend. Am besten über die Risiken informiert sind Personen im Alter von 20 bis 44 Jahren. Illegale Drogen - ein Wirrwarr ohne Grenzen beim Cannabis Die Konsumzahlen bei den illegalen Drogen sind in etwa stabil geblieben. Cannabis ist die weitaus am häufigsten konsumierte Substanz, weit vor Kokain, Amphetamin und Ecstasy. Beispiellos ist das dramatische Ausmass der Opioid-Problematik in den USA, wo viele Menschen nach einer Schmerztherapie die Opioide auf dem Schwarzmarkt beschaffen und oft ohne es zu wissen zu Stoffen wie Fentanyl greifen. Wie eine Studie aus der Waadt zum Heroinmarkt nahe legt, stellt sich das Problem hierzulande bis jetzt nicht. Die Cannabis-Politik steht vor immer grösser werdenden Herausforderungen. Mit CBD-haltigen Produkten, der uneinheitlichen Praxis bei den Ordnungsbussen, den geplanten Studien der Städte und Kantone für neue Regulierungsmodelle, der Verwendung von Cannabis zu medizinischen Zwecken sowie dem internationalen Kontext drängt sich eine Revision des Betäubungsmittelgesetzes auf. Geldspiele vor einer Renaissance mit unabsehbaren Folgen 0.8 bis 2.2% der Personen, die um Geld spielen, gelten als problematisch Spielende und 0.5 bis 0.8% als pathologisch Spielende. Von problematischen Formen des Geldspiels sind mehrheitlich jüngere Männer betroffen. Die geplante Öffnung des Geldspielmarkts im Internet droht mehr Menschen in die Sucht zu ziehen, denn Online-Geldspiele bergen nachweislich ein höheres Suchtpotenzial. Eher abseits des öffentlichen Interesses hat das Parlament ein Gesetz verabschiedet, das insgesamt die Möglichkeiten der Geldspielanbieter stärker gewichtet als den Schutz der Spielenden. Das Gesetz will nichtlizenzierte Anbieter mit Netzsperren vom Markt fernhalten und prompt wurde deswegen das Referendum lanciert. Gleichzeitig ermöglicht das Internet laufend neue Spielformen, welche insbesondere die Grenzen zwischen Video- und Geldspielen fliessend machen - die Rede ist vom sog. Social Gambling. Medikamente: Wo liegt die Schmerzgrenze? In den USA sterben jeden Tag mehr als hundert Menschen an einer Opioid-Überdosis. Zu den betroffenen Substanzen zählen auch schmerzlindernde Medikamente. Die in den letzten zehn Jahren beobachtete Zunahme der Verschreibungen und des Umsatzes von opioidhaltigen Schmerzmitteln erfordert auch hierzulande Wachsamkeit. Bislang gab es aber keine Meldungen, wonachentsprechende Suchtprobleme zugenommen hätten. Schlaf- und Beruhigungsmittel, namentliche Benzodiazepine, bergen einAbhängigkeitspotenzial. 2.8% der Bevölkerung nehmen täglich oder fast täglichwährend mindestens eines Jahres solche Mittel ein. Dieser Anteil ist hoch, wenn man bedenkt, dass sie nur über kurze Zeit eingenommen werden sollten. Potenziell gesundheitsschädliche Stoffe sind alles andere als neu. Neu in den letzten Jahren ist die Diversifizierung der Produkte nicht nur im Alkoholbereich: E-Zigaretten und Tabakprodukte zum Erhitzen, die auf den Markt drängen; nebst Haschisch und Marihuana gibt es CBD-reiches Cannabis in Zigaretten oder als Tropfen und Balsam etc. oder in Esswaren; neue psychoaktive Substanzen oder Online-Spiele ohne Grenzen. Diese Entwicklung verlangt nach neuen Leitlinien, damit Produkte mit möglichst geringem Schadenspotenzial begünstigt werden und nicht die Interessengruppen mit dem grössten Einfluss. Ohne politisches Engagement bleibt ein Vakuum, von dem die Anbieter profitieren. Rasches Handeln und ein Gesamtkonzept drängen sich auf, um das freie Marktspiel besser zu regulieren und Gesundheitsschäden zu minimieren. Doch eine politische Linie fehlt heute. Ein Feld ohne Schiedsrichter Nicht zuletzt dank neuer Technologien erzeugt der Markt laufend neue Produkte, Werbe-, Informations- und Austauschmöglichkeiten. Er erwidert damit auch dieNachfrage der Konsumierenden nach Produkten mit weniger Risiken. Um diese zu kennen, bräuchte es aber mehr unabhängige Forschung. Kurzum: Es braucht einen Schiedsrichter, der genau hinschaut und dort regulierend eingreift, wo die Gesundheit der Bevölkerung auf dem Spiel steht. Der Staat steht in der Pflicht. Wer sonst? Auf http://zahlen-fakten.suchtschweiz.ch stehen suchtspezifische Informationen und wissenschaftliche Daten bereit. Wer sich rasch einen Überblick über neuste Konsumtrends verschaffen will oder ein Thema vertieft recherchiert, findet hier fundierteFakten und aktuelle Zahlen. Sucht Schweiz setzt neu auch auf Infografiken, welche Daten und Zusammenhänge visualisieren, ohne an Genauigkeit und Klarheiteinzubüssen. Die Infografiken zeigen wichtige Kennzahlen zum Substanzkonsum (Alkohol, Tabak, Cannabis und weitere illegale Drogen, Medikamente) sowie zupotentiell problematischen Verhaltensweisen (Geldspiel, digitale Welt). Auch Folgen sowie Marktaspekte werden veranschaulicht. Das überarbeitete Portal richtet sich an Medienschaffende, Fachleute, Forschende, Vertreter und Vertreterinnen aus Politik und Verwaltung sowie alle weiteren an der Suchtthematik Interessierte. Das Projekt wurde durch das Nationale Programm Alkohol und den Impuls- und Entwicklungsfonds des Bundesamtes für Gesundheit finanziell unterstützt.
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