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ALKOHOL

KONSUMFORMEN SPITZEN SICH ZU UND JUGENDSCHUTZ GREIFT ZU WENIG

Heute betrinken sich mehr Menschen mindestens einmal pro Monat als noch gut zehn Jahre zuvor. Und bei den über 65-Jährigen sind die Anteile chronisch Trinkender unverändert hoch. Das Marketing profitiert von der schwachen Regulierung -Alkohol kann fast ohne Einschränkung verkauft und beworben werden und der Vollzug des Jugendschutzes zeigt die bekannten Lücken. Derweil buhlen Shots verpackt wie Schleckzeug um die Gunst der Jüngsten. Das darf nicht sein.

Hoher Anteil chronisch Trinkender bei über 65-Jährigen

Beim jährlichen Prokopf-Konsum, basierend auf Verkaufszahlen, zeigt sich in den letzten 20 Jahren eine stetige Abnahme. Dieser Konsum betrug im Jahr 2018 7.7 Liter reiner
Alkohol.

Detaillierte Zahlen aus der jüngsten Schweizerischen Gesundheitsbefragung zeigen gleichzeitig einen Anstieg des Rauschtrinkens im Jahr 2017 im Vergleich zu 2007 (bei einer Gelegenheit mind. 5 Gläser bei Männern und 4 Gläser bei Frauen; mind. einmal pro Monat). Dieser Anstieg ist in fast allen Altersklassen zu beobachten, besonders jedoch bei jungen Frauen (15-24 Jahre), wo der Anteil von 12% (2007) auf 24% (2017) steigt.

Der chronische Alkoholkonsum mit einem mittleren oder erhöhten Risiko (Männer durchschnittlich 4 Gläser und mehr, Frauen 2 Gläser und mehr pro Tag) ist in der Gesamtbevölkerung ab 15 Jahren seit 1997 in der deutsch- und französischsprachigen Schweiz vor allem bei Männern rückläufig. Im Jahr 2017 trinken 4.7% der Bevölkerung ab 15 Jahren chronisch risikoreich. Zwischen 2012 und 2017 ist dieser Anteil in etwa gleichgeblieben. Bei den 15- bis 24-Jährigen gab es bis 2012 einen Anstieg; im 2017 war der Anteil mit 5.3% in etwa gleich hoch wie zehn Jahre zuvor.

Bei den über 65-Jährigen sind die Anteile chronisch Trinkender (mit einem mittleren oder erhöhten Risiko) unverändert hoch. Nach einem Rückgang zwischen 2002 und 2012 sind die Raten bis 2017 wieder gestiegen: 6.2% bei den 65- bis 74-Jährigen und 6.4% bei den über 75-Jährigen.

Der tägliche Alkoholkonsum ist bei Männern und Frauen in den letzten zehn Jahren rück-läufig. Auffallend sind die hohen Raten bei Menschen im Rentenalter. So trinken 41% der über 75-jährigen Männer täglich Alkohol. Der Anteil der Personen, die täglich konsumieren, steigt mit dem Alter an.

Rauschtrinken bei Jugendlichen bleibt auf gleichem Niveau

Erkenntnisse zum Alkoholkonsum der 11- bis 15-Jährigen liefert die internationale Studie «Health Behaviour in School-aged Children» (HBSC), 2018. Danach tranken 11% der 15-jährigen Jungen und 4% der gleichaltrigen Mädchen mindestens einmal pro WocheAlkohol. (2014 waren es 10% bzw. 6%).

Das Rauschtrinken bleibt ebenfalls auf etwa demselben Niveau wie schon vier Jahre zuvor: 27% der 15-jährigen Jungen und 24% der gleichaltrigen Mädchen haben mindestens einmal in den letzten 30 Tagen fünf oder mehr alkoholische Getränke bei einer Gelegenheit getrunken. (2014 waren es 27% bzw. 23%). In der HBSC-Studie wird der punktuell exzessive Alkoholkonsum auch anhand der «selbstwahrgenommene Trunkenheit» geschätzt. Bei den 15-Jährigen gaben 18.5% der Jungen und 11% der Mädchen an, sich mindestens zweimal im Leben richtig betrunken gefühlt zu haben. (2014 waren es 16% bzw. 13%).

Europa: mehr als 2 Flaschen Wein pro Woche

Europa hat ein Alkoholproblem: Aus einem vor kurzem veröffentlichten Bericht der WHO geht hervor, dass der schädliche Alkoholkonsum nicht in dem erwarteten Masse rückläufig ist, obwohl alle Länder den Europäischen Aktionsplan zur Verringerung des schädlichen Alkoholkonsums (2012-2020) unterzeichnet haben. Im Durchschnitt trinken Erwachsene (ab 15 Jahren) in den Ländern der EU sowie Norwegen und der Schweiz umgerechnet mehr als zwei Flaschen Wein pro Woche..

Trendwende bei den alkoholbedingten Spitaleinlieferungen

Die kontinuierliche Beobachtung der Spitaleinlieferungen zeigt die Trends bei den alkoholbezogenen Diagnosen. Im Jahr 2016 wurden rund 11'500 Personen wegen einer Alkoholvergiftung stationär im Spital behandelt. Alkoholvergiftungen treten mit zunehmendem Alter häufiger auf, wobei in fast der Hälfte der Fälle auch eine Abhängigkeit diagnostiziert wird. Bei jungen Menschen (10- bis 23-Jährige) nahmen die Diagnosen der Gruppe Alkoholintoxikation langfristig (2003 bis 2016) um 23% bei Jungen/Männern und 36% bei Mädchen/Frauen zu. Im gleichen Zeitraum zeichnet sich bei allen Altersgruppen eine Trendwende ab: Die Diagnosen erreichten 2008 einen Peak und sanken bis 2016 wieder auf ein Niveau im Bereich von 2003. Dafür werden mehrere Gründe diskutiert: Nebst einem veränderten Konsumverhalten im öffentlichen Raum könnten u.a. die Einführung von Notfallbetten und zentralen Ausnüchterungszellen oder der Trend zu mehr ambulanten Behandlungen eine Rolle spielen.

Jugendkultur im Wandel

Ein im Jahr 2019 publizierter Bericht von Sucht Schweiz liefert Erklärungsansätze für die Entwicklung des Alkoholkonsums bei Kindern und Jugendlichen. Aktuelle Zahlen (HBSC) bestätigen, dass etwa seit der Jahrtausendwende der Alkoholkonsum von 11- bis 15-Jährigen in der Schweiz zurückging - wie auch in vielen Ländern Europas, Nordamerikas und Australasiens. Es deutet einiges darauf hin, dass sich der Konsum von Jungen und Mädchen annähert, was eher auf einen Konsumrückgang bei den Buben zurückzuführen ist. Einige Studien gehen davon aus, dass Verschiebungen in den Geschlechterrollen stattgefunden haben. International zeigt sich zudem, dass die Eltern ihrem Nachwuchs mehr Zeit widmen.

«Vorglühen» - nicht nur ein Jugendphänomen

Die Rolle des Geschlechts und des Alters beim sog. Vorglühen beleuchtet eine Studie eines internationalen Autorengremiums. Unter Verwendung von Daten aus dem Global Drug Survey wurden die Anteile der Predrinker für 27 Länder geschätzt. Der Anteil pro Land reichte von gut 18% (Griechenland) bis 86% (Irland). Obwohl die Prävalenz dieses Verhaltens vor allem junge Erwachsene betrifft, fällt auf, dass die entsprechenden Anteile selbst nach dem 30. Altersjahr in einigen Ländern konstant bleiben oder sogar ansteigen.

Fast die Hälfte der Behandlungen wegen Alkohol

Laut neusten Schätzungen, die auf einer umfassenden Befragung der Suchthilfeeinrichtungen basieren, erfolgt rund die Hälfte der Behandlungseintritte in die spezialisierte Sucht-hilfe (2018) in der Schweiz wegen Alkohol als Hauptproblem. In fast 70% der Fälle sind Männer betroffen und das Durchschnittsalter beträgt 46 Jahre (Männer und Frauen etwa gleich). Die Schätzungen zur Entwicklung der Behandlungsnachfrage für Alkohol als Hauptproblem seit 2013 weisen auf eine Abnahme hin (Index 2013-2018: -10.3%).

Es tut sich nichts in der Alkoholpolitik

Der Jugendschutz bzw. die Abgaberegelungen greifen nach wie vor ungenügend und die Politik bewegt sich kaum, um den Gesundheitsschutz zu stärken, obwohl sich die Bevölkerung eine stärkere Regulierung wünschen würde.

Der Alkoholverkauf an Jugendliche geht nicht zurück: Trotz Abgabeverbot wird bei Testkäufen in der Schweiz in rund 30 % aller Fälle gesetzeswidrig Alkohol an Minderjährige verkauft. Diese Zahl stagniert seit 2009. Eine Studie von Sucht Schweiz zeigt, dass es vor allem dort zu illegalen Verkäufen kommt, wo das Verkaufspersonal unter Stress handelt oder wo Betriebe die Abwanderung der Kundschaft zur Konkurrenz befürchten.

Die parlamentarische Initiative des Zürcher SVP-Nationalrats Claudio Zanetti zurAbschaffung der Biersteuer wurde im März 2019 vom Nationalrat abgelehnt. An der Biersteuer, die nicht als Lenkungsabgabe konzipiert ist, scheint sich niemand wirklich zu stören, selbst die Brauereien nicht.

Der Nationalrat will keine Einschränkungen beim Alkoolausschank in Autobahnraststätten schaffen. Er hat eine entsprechende Motion von Laurence Fehlmann Rielle (SP/GE) deutlich abgelehnt. Im Herbst 2017 hatte das Parlament beschlossen, das Verkaufs- und Ausschankverbot für Alkohol auf Raststätten nach über 50 Jahren aufzuheben.

Kleine Verschärfung bei der Spirituosenwerbung

Nach bisheriger Praxis waren kleine, geringwertige Gebrauchsgegenstände als Give-a-ways toleriert worden, auch wenn sie keinen Zusammenhang mit dem Produkt hatten. Dies stand im Widerspruch zum Wortlaut des Gesetzes. Der «Leitfaden zur Spirituosen-werbung» wurde im letzten Jahr entsprechend angepasst.

(K)ein Schritt zurück

Im Kanton Neuenburg hat das Parlament Anfang September 2019 eine Motion der Jeunes libéraux-radicaux abgelehnt, die ihrerseits Trinkspiele und Happy Hours wieder legalisieren wollten. Die Legislative hat damit Präventionsaspekte stärker gewichtet.

In Chur soll es wieder erlaubt werden, nach Mitternacht auf öffentlichem Grund Alkohol zu trinken. Im Polizeigesetz soll jener Passus gestrichen werden, mit dem sich die Alpenstadt einst den Ruf einhandelte, das «strengste Polizeigesetz der Schweiz» zu haben. Die Chu-rer Stadtregierung teilte im Juli mit, dass sie ein «liberaleres Polizeigesetz in die Vernehm-lassung » schicke.

Bewegung in Schottland

Die in Schottland im Mai 2018 eingeführten Mindestpreise für Alkoholika scheinen sich zu bewähren. Wie beabsichtigt drosselten jene Haushalte ihre Auslagen, die den meisten Alkohol gekauft haben. Offenbar gelang es, relativ billigen Alkohol weniger erschwinglich zu machen, was sich wiederum positiv auf die öffentliche Gesundheit auswirken sollte. Ein Mindestalkoholpreis soll Anfang März auch in Wales in Kraft treten.

Keine Billigstalkoholika rund um die Uhr

Ausdifferenzierte Produktekategorien sprechen spezifische Kundensegmente an. Da z.B. die aromatisierten oder kalorienreduzierten Biere für ein weibliches Publikum. Dort die kindlich und bunt aufgemachten Shots, die mehr an Schleckzeug erinnern als an Alkohol. In den USA wird gar ein mit Alkohol versetztes Mineralwasser vertrieben.

In Anbetracht der immensen alkoholbedingten Schäden braucht es mehr strukturelleMassnahmen, welche die Erhältlichkeit und die Attraktivität vermindern. Alkoholkonsum ist das siebtgrösste vermeidbare Risiko, vorzeitig zu sterben. Er begünstigt über 200 Krankheiten. Alkohol ist billig, rund um die Uhr sowie überall erhältlich und beworben - das hält den Konsum hoch.

Zum Preis: Einen halben Liter Bier für weniger als 50 Rappen oder eine Flasche Wodka für zehn Franken sind aus Präventionssicht ein «No go». Und mehr als die Hälfte der Bevölkerung würde einem Mindestpreis zustimmen. Wer jung und wenig Geld hat oder jene, die viel trinken, konsumieren mehr, wenn's billig ist. Was häufig vergessen geht: Alkohol ist bei 15- bis 24-Jährigen die Todesursache Nummer eins.

Mit jährlich über 22'000 Personen mit alkoholbezogener Diagnose allein im Spital bleibt ein grosser Handlungsbedarf. Der nächtliche Alkoholverkauf über die Gasse muss nicht sein, dies unterstützen mehr als 40% der Bevölkerung. Kantone in der Romandie machen es vor und sollten mehr Nachahmung finden. So ist im Kanton Waadt der Bier- und Spirituosenverkauf in Geschäften ab 21 Uhr verboten. Damit gingen die Hospitalisierungen wegen Alkoholvergiftung um 40% zurück. Begleitmassnahmen wie systematische Schulungen des Personals an allen Verkaufsorten sowie Testkäufe verstärken die Wirkung. Testkäufe zur Stärkung des Jugendschutzes sollten ausgeweitet und regelmässig durchgeführt werden. Dass das Abgabealter breit akzeptiert ist, zeigt sich auch daran, dass über 70% der Bevölkerung ein einheitliches Abgabealter von 18 Jahren auch für Bier und Wein befürworten.

Damit jede Generation nicht von neuem mit allen Mitteln ans Trinken herangeführt wird, braucht es die Debatte darüber, wie Alkohol angepriesen werden darf.

Zudem braucht es Transparenz bezüglich der Risiken. Alkohol ist weit gefährlicher, als viele denken. So erhöht er das Risiko an Krebs zu erkranken. Besonders häufig sind Tumore im oberen Verdauungstrakt, an der Leber und im Darm sowie bei Frauen in der Brust. Sensibilisierung ist auch deshalb wichtig, um die meist stark tabuisierten alkoholbedingten Probleme auszusprechen. Betroffenen und Angehörigen fällt es so leichter, Unterstützung zu holen.

Quelle: Text Stiftung Sucht Schweiz, 4. Februar 2020

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