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Medikamentenmissbrauch: Auf hohem Niveau stabil, aber noch wenig Gegenmassnahmen

Die Zahlen der Lieferungen und der Verkäufe von opioidhaltigen Schmerzmitteln steigen weiterhin an. Dank der stärkeren Kontrolle der Verschreibungen und der Limitierung der Marketingmöglichkeiten in der Schweiz besteht aber keine Opioidkrise wie in den USA. Die Entwicklung muss aber engmaschig verfolgt werden.

Bei starken Schlaf- und Beruhigungsmitteln (wie z.B. Benzodiazepinen) scheint die Situation auf (zu) hohem Niveau stabil zu bleiben - auch wenn die Anzahl der Bezüger sinkt, so nehmen weiterhin rund 350'000 Personen solche Medikamente über längere Zeit ein. Das Problembewusstsein scheint in der Fachwelt zuzunehmen, aber die Umsetzung von systematischen Massnahmen zur Förderung von Alternativen zu Benzodiazepinen lässt auf sich warten.

Hoher Konsum von Medikamenten mit Suchtpotenzial erfordert vertiefteres Wissen zur Verschreibungspraxis

Konsum von psychoaktiven Medikamenten durch Jugendliche LFokus Schmerzmittel auf Opioidbasis: Stetiges, aber abgebremstes Wachstum, und bisher keine verbreiteten Probleme wie in den USA

Die Schweizerische Gesundheitsbefragung von 2017 zeigt, dass der allgemeine Schmerzmittelkonsum (in den letzten 7 Tagen vor der Befragung) zwischen 2002 und 2012 stark angestiegen ist, danach bis 2017 aber praktisch gleich blieb.

Die Zahlen der Schweizer Zulassungsbehörde Swissmedic zu den opioidhaltigen Schmerzmitteln zeigen aber eine Steigerung der Lieferungen an die Ärzteschaft, Apotheken und Spitäler zwischen 2010 bis 2018. Parallel dazu weisen die Verkaufszahlen laut Branchenverband Interpharma zwischen 2014 und 2018 eine Steigerung von rund 18% bei den Opioidanalgetika aus.

Diese Zunahmen haben aber schon viel früher begonnen. Gemäss einer in der Revue Médicale Suisse veröffentlichten Studie sind die Lieferungen von opioidhaltigen Medikamenten zwischen 1985 und 2015 stark angestiegen, allerdings inklusive dem Heroinersatz Methadon. Ohne Methadon ist ein starker Anstieg zwischen 2004 und 2010 ersichtlich, seither steigen die Zahlen nur noch leicht.

Detaillierte Daten aus dem Suchtmonitoring von 2016 zeigen einen leichten Anstieg des allgemeinen Gebrauchs von starken, zum Teil opioidbasierten Schmerzmitteln: 19.4% der Befragten gaben an, in den letzten 12 Monaten vor der Befragung mindestens einmal solche Medikamente genommen zu haben (gegenüber 17.3% im 2011). Der Anteil der Personen, die sie täglich oder fast täglich während mindestens eines Jahres einnahmen, ging zwischen 2013 und 2016 von 2.5 auf 1.8% zurück.


Eine unkontrollierte Verbreitung von opioidhaltigen Medikamenten wie in den USA ist in der Schweiz gemäss den vorliegenden Daten nicht auszumachen.

Opioidkrise in den USA

Die fatale Entwicklung in den USA wurde durch die sehr breite und unkontrollierte Verschreibung von Schmerzmitteln auf Opioidbasis ab den 1990er-Jahren ausgelöst, was zu einer grossen Zahl von Abhängigen und Todesfällen führte. Laut einer amerikanischen Studie wurden 8 bis 12% der Einnehmenden davon abhängig. Nachdem die Behörden begannen, die Verschreibung einzuschränken, beschafften sich viele Menschen die Produkte auf dem Schwarzmarkt oder stiegen auf Heroin oder das noch stärkere Fentanyl um. In ersten Prozessen wurden Schmerzmittelproduzenten, -Verteiler sowie verschreibende Ärzte in den USA zu Schadenersatzzahlungen verurteilt oder haben Vergleiche abgeschlossen. Zahlreiche weitere Prozesse sind hängig.

Fokus problematischer Langzeitgebrauch von Schlaf- und Beruhigungsmitteln:Zu viele Abhängige, aber positive Entwicklung hat begonnen

In der Umfrage Lifestyle und Gesundheit vom Jahr 2018 gaben 2.1% der Befragten einen chronischen Konsum von Schlaf- und Beruhigungsmitteln an (fast täglich in den letzten 3 Monaten). Eine fast tägliche Einnahme von solchen Medikamenten über mehrere Monate gilt als problematisch. Beim Konsum in den letzten 30 Tagen sind die Zahlen mit 7.7% ähnlich wie beim Suchtmonitoring im Jahr 2016 (7.4%).

In der Schweizerischen Gesundheitsbefragung vom Jahr 2017 gaben 6.7% der Befragten an, in den letzten sieben Tagen Schlaf- oder Beruhigungsmittel eingenommen zu haben (in der vorhergehenden Befragung vom Jahr 2012 waren dies noch 7.9%).

Auch die Zahlen des Verbands Interpharma verweisen in den letzten Jahren auf gleichbleibende bis leicht sinkende Verkäufe. Wie auch die Pionierarbeit mit Kanton Tessin zeigt, wo die Verschreibungsquote in fünf Spitälern offengelegt und die Patienteninformation verstärkt wurde, scheint das Problembewusstsein zuzunehmen.

In der Suchtmonitoring-Befragung von 2016 gaben 2.8% der Schweizer Bevölkerung über 15 Jahren an, täglich oder fast täglich während mindestens eines Jahres Schlaf- oder Beruhigungsmittel einzunehmen, das sind hochgerechnet nahezu 200'000 Personen. Mit zunehmenden Alter steigt der Gebrauch, wobei es sich häufig um Benzodiazepine oder ähnliche Medikamente mit hohem Gewöhnungspotenzial handelt. Der Gebrauch über eine längere Zeit ist mit Risiken für die physische und psychische Gesundheit verbunden. In vier Fünfteln der Fälle wird die Einnahme ärztlich verschrieben, meist gegen Schlafprobleme.

Laut Helsana haben im Jahr 2017 über 700'000 Personen in der Schweiz ein Benzodiazepin oder ein ähnliches Medikament bezogen, die Tendenz ist dabei sinkend. 80% erhalten diese Medikamente wegen Schlafproblemen, und rund 350'000 Menschen beziehen pro Jahr mindestens drei Packungen dieser Medikamente; sie gelten laut Helsana als Langzeitbezüger und sind somit wahrscheinlich davon abhängig.

Fokus Psychostimulanzien: Gebrauch wirft Fragen auf

Nach der Befragung Lifestyle und Gesundheit nahmen im Jahr 2018 1.5% aller Befragten Psychostimulanzien wie zum Beispiel Ritalin ein, 0.7% in den letzten 30 Tagen. Die entsprechenden Werte im Suchtmonitoring 2016 betrugen 0.9 resp. 0.5%. Allerdings sind die Zahlen wegen der unterschiedlichen Befragungsweise nur bedingt vergleichbar.

In der Altersgruppe der 20- bis 24-Jährigen gaben im Rahmen von Suchtmonitoring 2016 3.3% der Befragen an, im letzten Jahr Psychostimulanzien eingenommen zu haben, mehr als ein Drittel von ihnen ohne Rezept. Im Jahr 2011 betrug der Wert noch 1.4%. Es handelte sich dabei meist um Arzneimittel, die gegen Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen verschrieben werden.

Psychostimulanzien zur Behandlung einer Aufmerksamkeits- oder Hyperaktivitätsstörung werden teilweise ohne medizinische Indikation zur Leistungssteigerung eingenommen. Die erhoffte Wirkung liess sich allerdings nicht schlüssig nachweisen. Um im Studium und an der Arbeit bessere Leistungen zu erzielen, steigt der Gebrauch in der Schweiz wie auch in anderen westlichen Ländern an.

Politik und Prävention: Die Lösungswege sind da, aber wer setzt sie um?

Auf politischer Ebene sind aktuell trotz den teilweise hohen Raten an problematischem Benzodiazepin-Konsum und steigendem Konsum von opioidhaltigen Schmerzmitteln praktisch keine Aktivitäten festzustellen. Immerhin hat das Bundesamt für Gesundheit (BAG) eine Auslegeordnung zum problematischen Gebrauch von psychoaktiven Medikamenten erarbeiten lassen. Darin werden auch die Problematiken der einzelnen Medikamentengruppen sowie die Situationen, die zu übermässigem Bezug oder übermässiger Verschreibung führen, dargestellt.

Opioidbasierte Schmerzmittel

Die Kontrollen bei der Verschreibung von opioidbasierten Schmerzmitteln scheint sich in der Schweiz zu bewähren. Die Zunahme des Gebrauchs könnte bisher hauptsächlich Aus-druck einer verbesserten Schmerzversorgung sein. Es stellt sich die Frage, ob sich die geltende Praxis auch künftig bewährt, falls Schmerzmittel von Patienten und Patientinnen vermehrt verlangt und das Medikamentenmarketing verstärkt würden. Um ein «Ärztehopping» in verschiedene Kantone oder Notfallstellen zu vermeiden bräuchte es eine verbesserte Koordination zwischen den Kantonen und entsprechende Kontrollsysteme wie ein nationales Verschreibungs- und Abgaberegister, wie der Bericht des BAG anregt.

Nach der Auslegeordnung des BAG kommt es bei Schmerzmitteln häufig vor, dass Personen, die aufgrund von Schmerzen mit Opioiden behandelt werden, diese auch nach Abschluss der eigentlichen Therapie weiter einnehmen, da diese Präparate auch stimmungsaufhellend wirken. Hier sollten andere Lösungen angeboten werden. Im Rahmen der ambulanten Nachsorge nach Spitalaustritten müsste die Schmerzmitteldosierung engmaschig überwacht werden.

Handlungsbedarf besteht auch beim Monitoring. So wären regelmässig durchgeführte Befragungen zum Gebrauch nötig, um rechtzeitige Interventionen zu ermöglichen.

Benzodiazepine: Kritischere Auseinandersetzung mit der Verschreibung gefragt

Eine physische Abhängigkeit kann sich entwickeln, wenn benzodiazepinartige Schlaf- oder Beruhigungsmittel täglich über vier bis acht Wochen eingenommen werden. Für ältere Menschen bergen diese Arzneimittel grössere Risiken, weil die Wirkdauer bei ihnen länger ist und sie empfindlicher auf die das zentrale Nervensystem dämpfenden Wirkungen reagieren. Verwirrtheit, Stürze oder Pseudodemenz zählen zu den Folgen. Zudem werden in höherem Alter oft auch andere Medikamente verschrieben, was Wechselwirkungen fördert. Die Sensibilisierung von älteren Menschen und Gesundheitsfachpersonen für die Risiken einer Benzodiazepinabhängigkeit müsste verstärkt werden.

Die Medizinalpersonen in Apotheken und Arztpraxen sind daher gefordert. Aufklärungsarbeit, präventive Massnahmen und alternative Lösungen sollten aber auch strukturell gefördert werden: In der Aus- und Fortbildung müsste der problematische Gebrauch von Arzneimitteln verstärkt behandelt werden. Zudem bräuchte es mehr Leitlinien für die Praxis, wie in schwierigen Fällen vorgegangen werden kann. Nach einer Untersuchung im Kanton Freiburg wünschen sich viele Medizinalpersonen auch eine verbesserte Zusammenarbeit untereinander und mit den Behörden.

Quelle: Text Stiftung Sucht Schweiz, 4. Februar 2020

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