1914 - 1918: 1. Weltkrieg Die Schweiz im Propagandakrieg Im Ersten Weltkrieg war die Schweiz dem Zerbrechen nahe. Den Grund dafür zeigt die Ausstellung "Im Feuer der Propaganda": eine grosse innere Zerrissenheit, verstärkt durch massive in- und ausländische Propaganda. Zu sehen ist die Ausstellung vom 21. August bis zum 9. November 2014 im Museum für Kommunikation und in der Schweizerischen Nationalbibliothek in Bern. Es ist die erste Ko-Produktion der beiden Institutionen. Exakt vor hundert Jahren brach die "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts" über Europa ein: Der Erste Weltkrieg erschütterte den Kontinent während vier Jahren. Auch wenn die Schweiz nicht direkt am Krieg beteiligt war - das Land befand sich in einem äusserst kritischen Zustand. Von allen Seiten wurde es mit massiver Propaganda zugedeckt. Würde es die Zerreissprobe zwischen der mit Frankreich sympathisierenden Romandie und der deutschfreundlichen Deutschschweiz überstehen? Die Ausstellung: Im Feuer der Propaganda Die Schweiz und der Erste Weltkrieg ist die erste Ko-Produktion des Museums für Kommunikation und der Schweizerischen Nationalbibliothek. Sie zeigt den Propagandakrieg und die grosse innere Zerrissenheit der Schweiz während dem Ersten Weltkrieg. Die rund zweihundert ausgestellten Dokumente stammen mit wenigen Ausnahmen aus den Sammlungen der beiden Häuser. Fast alle sind im Original zu sehen. Dabei handelt es sich um Zeitungen und Zeitschriften, Plakate und Postkarten, Fotografien und Grafik, Flugblätter und Depeschen, Manuskripte, Bücher und Filme. Die Ausstellung beginnt im Museum für Kommunikation mit einem Einstieg in die Thematik. In der Schweizerischen Nationalbibliothek wird sie weitergeführt und vertieft. Deutsch gegen Welsch Europa wurde zwischen 1914 und 1918 vom Ersten Weltkrieg erfasst und zerrissen. Obwohl die Schweiz vom eigentlichen Krieg verschont blieb, war auch sie im Kriegszustand. Die Armee wurde mobilisiert, die Grenzen besetzt, der Bundesrat erklärte die Neutralität. Dennoch zog sich ein Graben durch das Land. Während ein grosser Teil der Deutschschweiz stark mit Deutschland und Österreich-Ungarn sympathisierte, schlug das Herz der Westschweiz mehrheitlich für Frankreich und seine Verbündeten. Der Propagandakrieg Die innere Zerrissenheit wurde auch von den ausländischen Kriegsmächten wahrgenommen und genutzt. Sie nutzten die Situation für einen in diesem Ausmass erstmals geführten Propagandakrieg auf dem Territorium der Schweiz. In der ungewissen Zeit des Kriegsbeginns waren die Zeitungen weitgehend von kontrollierten Informationen aus dem Ausland abhängig. Ab 1915 wurde die Situation noch kritischer, da sich die deutsche Propaganda die geheime Kontrolle über Deutschschweizer Zeitungen und die französische die über die Presse in der Romandie sicherte. Die kriegsführenden Mächte liessen nichts unversucht, um die öffentliche Meinung in der Schweiz zu beeinflussen: Sie gründeten gar eigene Zeitschriften und Presseagenturen. In den letzten Kriegsjahren setzten sie zudem die Kultur für ihre Zwecke ein, indem sie Theater und Kinos aufkauften und in den Städten grosse Ausstellungen organisierten. Die Frage der schweizerischen Identität Der tiefe Graben forderte die Schweiz innenpolitisch stark heraus. Die komplexe Frage der nationalen Identität wurde heftig debattiert. Schriftsteller, Intellektuelle und Politiker setzten sich für den inneren Zusammenhalt ein. Carl Spitteler etwa hielt auf Einladung der Neuen Helvetischen Gesellschaft am 14. Dezember 1914 seine Rede Unser Schweizer Standpunkt. 1918, am Ende des Ersten Weltkriegs, hatte sich die politische Karte Zentraleuropas vollständig verändert. Die Grenzen der Schweiz aber blieben bestehen. Wenn auch politisch geeint, so blieb das Land nach dem Krieg in sozialer und kultureller Hinsicht tief gespalten. In diesem Klima sprossen die Wurzeln der Geistigen Landesverteidigung, die die Schweizer Politik über den Zweiten Weltkrieg bis in die 1960er Jahre hinein prägte.
Auszug aus dem Ausstellungsheft zur Ausstellung «Im Feuer der Propaganda» Die Schweiz und der Erste Weltkrieg» konzentriert sich auf die kulturgeschichtlichen Aspekte der Kriegsjahre in der Schweiz und dokumentiert neuste Forschungsergebnisse anhand von vielen unterschiedlichen Medien, die in diesen Jahren grossen Aufschwung erlebten. Sie ist in zwei Häusern zu sehen: im Museum für Kommunikation wird ein Einstieg in die Thematik anhand von zehn wichtigen Medien-Beispielen angeboten. In der Schweizerischen Nationalbibliothek wird entlang der beiden Kapitel «Zwischen Zwietracht und Zusammenhalt» und «Der Propagandakrieg» eine Weiterführung und Vertiefung präsentiert. Die Erstarrung des Konflikts an der Westfront, der Verlust der wirtschaftlichen Unabhängigkeit des Landes, die vollständige Umzingelung der Schweiz durch den Kriegseintritt Italiens im Mai 1915 sowie die übereifrigen Manipulationsversuche durch die Propaganda verändern die Positionen nach und nach. Bestrebungen nach innerer Einigkeit versuchen nun den Graben zu schliessen, der den nationalen Zusammenhalt gefährdet. Nach den Worten einer aufkommenden patriotischen Rhetorik ist die Schweiz eine «Insel», die es vor einer «Überflutung» durch die ausländische Propaganda zu bewahren gilt. Wie der Dichter Carl Spitteler im Dezember 1914 in einem berühmten Vortrag sagt, sind «[..]die tausend und abertausend geistigen Einflüsse, die […] gleich einem segensreichen Nilstrom unsere Gauen befruchtend überschwemmen, […] in Kriegszeiten nur filtriert zu geniessen.» Der Bundesrat, der Generalstab und die zivile Gesellschaft schaffen daher verschiedene Organe einer nationalistisch geprägten ‹Gegenpropaganda›. Die Soldaten erhalten in den beiden ersten Kriegswintern eine patriotische Ausbildung, die politische Zensur der Schriften und Bilder wird im Juli 1915 offiziell eingerichtet und die Neue Helvetische Gesellschaft, eine patriotische und bürgerliche Vereinigung, führt eine grossangelegte Presseaktion durch, die sowohl die intellektuellen Eliten als auch Familien und Jugendliche erreicht. Der Propagandakrieg Zwar schürt die Propaganda zunächst die Spannungen zwischen der deutschsprachigen und der lateinischen Schweiz, später trägt sie aber auch zu einer Stärkung des nationalen Zusammenhalts als gemeinsame Abwehr bei. Auch wenn die Propaganda zunehmend als inakzeptable Einmischung verstanden wird, bremsen die Kriegsmächte ihre psychologische Kriegsführung in der Schweiz keineswegs. Sie übernehmen sogar im Geheimen die Kontrolle über schweizerische Einrichtungen, um ihre Beeinflussungsstrategien mit dem Schein der Neutralität zu tarnen. Konkurrenzdenken und Wettbewerb drängen sie zudem zu ständigem Handeln. Kaum eine Möglichkeit zur Einflussnahme entgeht ihnen und die damit verbundenen Bestrebungen treffen Presse und Verlage ebenso wie Tagungen, Bilder, Künste oder das Kino. Die Kriegsmächte suchen nach ‹Agenten›, von denen sie sich Unterstützung in ihrer Sache erhoffen. Als die wichtigsten mobilisierten Netzwerke ihre Absichten vollumfänglich unterstützen, befassen sie sich mit den Widerstandsbewegungen, die zur Entmutigung der Feinde beitragen. Pazifistische Kreise sind begehrt, da sie die Gegner schädigen können. Die schweizerische Kulturwelt befindet sich also inmitten einer psychologischen Schlacht von bisher unerreichter Heftigkeit.
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