vorangehende Seite
end
Arktis Hoher Norden
Grönland 79°-Nord-Gletscher: Die elastische Verformung bei Gletschern 2021
Polgebiete Weitere Informationen
Arktis - Antarktis
Gletscher-Videos Schweiz
Arktisches Meer Weitere Informationen
Weitere Informationen
Naturwissenschaften - Technik Erdkunde Klima
Grönland
79°-Nord-Gletscher: Die elastische Verformung bei Gletschern

Viskos und elastisch: Gletscher verhalten sich "fester" als gedacht

AWI-Studie zeigt, dass die elastische Verformung bei Gletschern eine viel wichtigere Rolle spielt als bislang bekannt

Schmelzende Gletscher tragen erheblich zum globalen Meeresspiegelanstieg bei. Um diesen möglichst exakt vorhersagen zu können, müssen alle relevanten Prozesse in den grossen Gletschern der Welt in Computermodellen realitätsnah nachgebildet werden. In den meisten Simulationen wird das Eis dabei ausschliesslich als fliessender Körper betrachtet. Wie eine Modellierungsstudie unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts nun nachweist, wurden dabei die Festkörpereigenschaften des Eises zu stark vernachlässigt. So konnten die Forschenden am Beispiel eines Gletschers an der Küste Grönlands zeigen, dass etwa die Gezeiten des Meeres das Eis noch in mehreren Kilometern Entfernung landeinwärts elastisch verformen. Die Studie ist im Fachmagazin Nature Communications: Earth & Environment erschienen.

Der gigantische Nioghalvfjerdsfjorden-Gletscher im Nordosten Grönlands liegt auf 79 Grad nördlicher Breite und wird deshalb auch kurz als "79°-Nord-Gletscher" bezeichnet. Der Koloss fliesst direkt in die Grönlandsee und beinhaltet ein Eisvolumen, das den globalen Meeresspiegel um etwa 1,1 Meter steigen lassen würde, wenn es komplett abschmilzt. In Folge des Klimawandels hat sich der Eisverlust am 79°-Nord-Gletscher deutlich erhöht. So werden zum Beispiel die vom Gletscher gekalbten Eisberge immer grösser. Im September 2020 etwa brach ein Brocken ab, der grösser war als Paris mit 112 km2>.

Der 79°-Nord-Gletscher (79 NG) wird auch als Nioghalvfjerdsfjorden bezeichnet.

"Wenn wir den mit dem Eisverlust verbundenen Meeresspiegelanstieg noch genauer prognostizieren wollen, müssen wir in den Computermodellen das Fliessen von Gletschern wie dem 79°-Nord-Gletscher möglichst exakt abbilden", sagt Dr.-Ing. Julia Christmann, Studienerstautorin und Glaziologin am Alfred-Wegner-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI). "Damit die benötigte Rechenleistung nicht zu gross wird, werden die Bewegungen von Gletschern oft stark vereinfacht dargestellt. Die Simulationen beschreiben das Eis dann nur fliessend. Aber Gletschereis hat auch Festkörpereigenschaften, die in den Modellen so gut wie nie betrachtet werden. Unsere Studie zeigt, dass genau diese Festkörpereigenschaften eine wichtige Rolle spielen und dass es sich lohnt, sie in die Simulationen zu integrieren."

Zusammen mit ihrem internationalen Studienteam aus Deutschland, Dänemark und den USA entwickelte Julia Christmann eine Simulation des 79°-Nord-Gletscher, die das "elastische" Festkörperverhalten und das "viskose" Fliessverhalten des Gletschers kombiniert. Dabei wird auch das subglaziale Wasser unter dem Gletscher berücksichtigt, für das AWI-Glaziologe Dr. Thomas Kleiner das Hydrologiemodell des AWI angewendet hat. Um zu prüfen, wie gut diese "viskoelastische" Simulation den wirklichen 79°-Nord-Gletscher nachbildet, verglichen die Forschenden die Computerdaten mit den realen GPS-Bewegungsdaten des Eises aus einer AWI-Feldforschungskampagne und Satellitenfernerkundungsdaten.

Massive Spaltenregionen vom 79°-Nord-Gletscher im Juni 2015

"Wir konnten zeigen, dass die elastische Komponente unter anderem dort wichtig ist, wo der Gletscher ins Meer fliesst", erklärt Julia Christmann, die die Arbeiten im Rahmen des BMBF-Projektes GROCE (Greenland Ice sheet Ocean Interaction) durchgeführt hat. "Dort befindet sich unter dem Eis Meerwasser, der Gletscher hat also keinen Kontakt mehr zum Boden. Ebbe und Flut heben und senken die schwimmende Eisplatte. Ausserdem drückt das Ozeanwasser auf das damit verbundene subglaziale Wasser unter dem Eis an Land und verändert dort die Gleitgeschwindigkeit des Gletschers. Das elastische Gezeitensignal verformt den Gletscher noch 10 Kilometer landeinwärts von der Aufsetzlinie, an der das Eis noch auf dem Boden aufliegt. Diese Fernwirkung der Gezeiten auf das Inlandeis war zwar aus der Antarktis bekannt, wurde jedoch in Grönland bislang kaum berücksichtigt."

Eine weitere überraschende Erkenntnis: Auch jenseits des Gezeitensignals, weit im Landesinnern, tritt die Festkörperverformung auf. Und zwar immer dort, wo der Gletscher mit relativ hoher Geschwindigkeit - über 70 cm pro Tag - über "Berge" und grosse Bodenwellen unter dem Eis fliesst. "Das erzeugt hohe Spannungen und führt zur elastischen Deformation des Eises", sagt Julia Christmann. "Genau diese Orte hoher Spannung in unserem Modell passen erstaunlich gut mit Satellitendaten zusammen. Denn genau hier finden wir in ganz Grönland riesige Felder mit unzähligen Spalten im Eis. Hier wird klar, warum sich ein Gletscher ohne Festkörperkomponente nicht korrekt beschreiben lässt. Denn ein reines Fluiid kann keine Spalten und Risse haben."

Beide Phänomene - Gezeitensignal und elastische Deformation im Inlandeis - treten nach Einschätzung des Studienteams an vielen mit dem 79°-Nord-Gletscher vergleichbaren Auslassgletschern weltweit auf. "Deshalb lohnt es sich, die elastischen Komponente in die Modelle zu integrieren, auch wenn sie dadurch komplexer werden", erklärt Prof. Dr. Angelika Humbert, Leiterin der AWI-Studie. "Denn auch von den Festkörpereigenschaften hängt ab, wie schnell ein Gletscher zum Meer fliesst und wieviel Eis er dort in einem wärmeren Klima verliert. Die Prognosen zum Meerspiegelanstieg könnten also noch exakter werden."

Originalpublikation

Julia Christmann, Veit Helm, Shfaqat Abbas Khan, Thomas Kleiner, Ralf Müller, Mathieu Morlighem, Niklas Neckel, Martin Rückamp, Daniel Steinhage, Ole Zeising und Angelika Humbert: Elastic deformation plays a non-negligible role in Greenland’s outlet glacier flow. Nature Communications: Earth & Environment (2021), DOI: 10.1038/s43247-021-00296-3

Quelle: Text Alfred-Wegener-Institut, 9. November 2021
Grönland
Grönländisches Eisschild Gletscher im Kong Frederik VIII Land Starke Gletscherschmelze
Grönland Schrumpfende Gletscher verändern die Nährstoffversorgung des Ozeans 79°-Nord-Gletscher
Grönland Wie das Meer am Gletscher nagt 79°-Nord-Gletscher
Grönland
Das Grönländische Eisschild
Grönländisches Eisschild Gletscher im Kong Frederik VIII Land Starke Gletscherschmelze
Das Grönländische Eisschild verlor in der Saison 2020-2021 viel Eis
2020 Grönländisches Eisschild verzeichnete 2019 Rekordverlust
2020 Hohe Eismassenverluste beim Grönländischen Eisschild 2019
2020 Veränderungen im Grönländischen Eisschild von 2003 bis 2019
2017 Grönland - Gletscher verlieren weniger Eis als die Jahre zuvor
2016 Schmelzwasser des Grönländischen Eisschilds fliesst schneller ab
2015 Grönländisches Eisschild schmilzt
2014 Das Grönländische Eisschild schmilzt weiter ab
2012 Grönland - Zeugen der Gletscherschmelze
2012 Grönland - Komplexe Eisschmelzprozesse
2009 Wie schnell schmilzt Grönlands Eis?
2006 Grönland bald ohne Eis?
Antarktis
Antarktisches Eisschild und die Antarktischen Schelfeise
Gletscher in der Schweiz
Gletscher und Eis
Arktischer Ozean und Grönland
Gletscher in Grönland
Greenland's Icesheet
>
Klimawandel in der Arktis und in der Antarktis
Videos über die Arktis und die Antarktis

nach oben

Weitere Informationen
Arktis
Arktis und Antarktis Klimawandel in der Arktis
Grönland
Grönland - Im Land der Eisbären
Videos über die Arktis Klimawandel
Gletscher
Gletscher Entstehung und Aufbau
Permafrost
Permafrost
Bilder Videos Länder-Informationen Karten Klima
Links
Externe Links
Alfred-Wegener-Institut
RAOnline Antarktis & Arktis Startseite
top
vorangehende Seite